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40 Jahre “Unknown Pleasures” – Das Album zum T-Shirt

Es gibt Alben, die kennt eins einfach, ohne sie wirklich zu kennen. Alleine deshalb, weil das Cover so einprägsam oder fester Teil der Popkultur ist. Das sind dann solche Sachen wie “Abbey Road” von den Beatles, “Dark Side of The Moon” von Pink Floyd, “Nevermind” von Nirvana oder “Is This It” von den Strokes. Diesen “Achja, hab ich schonmal irgendwo gesehen”-Effekt gibt es unglaublich oft. “Unknown Pleasures” von Joy Division ist eines davon. Vor 40 Jahren ist es erschienen.

Am 16.06.1979 hat die englische Band “Joy Division” ihr erstes Album veröffentlicht. Das Cover des “Unknown Pleasures” betitelten Werks ist auf den ersten Blick schlicht: Weiße Linien auf schwarzem Hintergrund. Auf den zweiten Blick entpuppt es sich aber als komplexes Gebilde. Es ist ein Diagramm kosmischer Radiowellen. Und damit beschreibt das Cover der Platte die darauf enthaltene Musik schon sehr gut. Mit minimalistischer Instrumentierung werden in einfachen Songstrukturen dennoch vielschichtige Klangarrangements geschaffen, die es schaffen, eine bestimmte Atmosphäre einzufangen. Kein Wunder also, dass dieses Erstlingswerk ein bedeutendes Stück Musikgeschichte wurde.

Apropos Musikgeschichte: Aus dieser ist Joy Division ja nicht wegzudenken. Einerseits natürlich gerade wegen ihrer Vorreiterrolle als Post-Punk-Band, die den Weg für den (Dark) Wave der 80er geebnet hat. Andererseits auch wegen der filmreif tragischen Bandgeschichte, die mit dem Tod des gerade einmal 23-jährigen Sängers Ian Curtis ein jähes Ende fand und nach dem die hinterbliebenen Musiker sich wie der Phönix aus der Asche zu “New Order” formierten.

40 Jahre Unknown Pleasures: Going strong!

Obwohl das Album es verdient gehabt hätte, sofort zum Verkaufsschlager zu werden, blieb es lange unbeachtet. Den Kultstatus und die entsprechend hohen Absatzzahlen von “Unkown Pleasures” erlebte Ian Curtis nicht mehr. Erst nachdem Joy Division mit der Single “Love will tear us apart again” des nächsten Albums von sich reden machten und der Musikjournalismus Kenntnis vom Tod des Sängers genommen hatte, setzte der Durchbruch der Band ein.

Seite A (“Outside”)

Es lohnt sich, das Album als Platte zu denken. Denn anders als eine CD, die einfach von Anfang bis Ende durchläuft, muss(te) Vinyl umgedreht werden. Es gab also gleich zwei Eröffnungsstücke (im Fachjargon: “Opener”) für ein Album: Eins für Seite A und eins für Seite B. Bei der “Unknown Pleasures” sind beide Plätze mit den idealen Openern besetzt.

Illustration zu “Disorder”. Leider nicht Teil des Album-Artworks

Auf Seite A (die auf der Platte mit “Outside” beschriftet ist) schafft “Disorder” klare Verhältnisse. Das Stück beginnt mit einem markant halligen Schlagzeugrhythmus, der zügig um eine einprägsame Bassline und ein minimalistisch-harmonisches Gitarrenriff vervollständigt wird. Wenn Curtis das Album mit den Worten “I was waiting for a guide to come and take me by the hand” eröffnet, klingt seine Stimme so passend zur Atmosphäre des Stücks, als sei er nur dafür geboren worden. Der ohnehin schon relativ schnelle Song nimmt weiter Fahrt auf und gipfelt schließlich in einer chaotisch wirkenden Überlagerung der einzelnen Soundbestandteile, die sich sachte auslaufen. Das schnellste Stück des Albums hat gerade sein Ende gefunden, da beginnt mit “Day of the Lords” eines der langsamsten: Der Unterschied zwischen den Tempi beider Lieder beträgt stattliche 44 BPM. Und so ist es beim Hören auch so, als kehrte der Achterbahnwagen nach der steilsten Abfahrt der Strecke unmittelbar zur Station zurück.

Ähnlich schwerfällig verläuft “Candidate“. Der Sound baut sich langsam aus dem Off auf, der Bass von Peter Hook trägt das ganze Lied. Die klangliche Gestalt des Stücks geht hier Hand in Hand mit dem darin enthaltenen Text: “Please keep your distance” und “I tried to get to you” funktionieren hier als eine Art Mantra der Resignation.

Gnarr…Instant Ohrwurm!

Von wegen Mantra: Über das ganze Album verteilt finden sich in jedem Song einzelne Phrasen, die sofort im Kopf bleiben und anhand derer sich die Songs wiedererkennen lassen. Ich behaupte sogar, dass sie sich schon nach dem ersten Hören mitsingen lassen. “I’ve got the spirit but lose the feeling” ist es bei “Disorder”, die rhetorische Frage “Where will it end?” bei “Day of the Lords” und bei “Insight” sind es “but I remember when we were young” und das fulminante “I’m not afraid anymore” am Ende.

Insight” ist deutlich beschwingter als seine beiden Vorgänger und brilliert mit einem großartigen Zwischenspiel, dessen verspielte Synthieklänge die typischen Videolspielsounds der 80er vorwegnehmen. So entsteht eine der zahlreichen auf “Unkown Pleasures” vertretenen Klanglandschaften. 

Die erste Hälfte der Platte geht mit “New Dawn Fades” zuende. Es ist eines der Stücke auf dem Album, das über ein wirklich markantes Gitarrenriff verfügt, das schön mit dem Bassriff interagiert. Der ganze Song nimmt im Verlauf an Intensität zu. Säuselt Ian Curtis am Anfang “Change of speed, change of style, change of scenes with no regrets”, setzt er nach und nach immer mehr Kraft ein und endet in hoher Stimmlage mit langgezogenen Phrasen à la “We’re waiting for me hoping for something more.” Eine wiedererkennbare Songstruktur gibt es hier übrigens nicht. Nur eine sanft klingende, aber brutale Linearität, die unnachgiebig jeden Orientierungspunkt verweigert.

Seite B („Inside“)

Der zweite Opener des Albums, “She’s Lost Control“, funktioniert ähnlich wie der erste: Markanter Rhythmus, der um ein unverwechselbares Bassriff erweitert wird, ein Akzente setzender Gitarrenlauf, der erst später hinzukommt, immer lebhafter werdendes Schlagzeugspiel bei mäßiger Geschwindigkeit (144 bpm). Dazu Curtis’ unverwechselbare Bariton-Stimme, die immer wieder die einzelnen Versen der Strophe mit der titelgebenden Phrase “She’s Lost Control (Again)” beendet. 

Illustration zum Song “Shadowplay”. Leider nicht Teil des Album-Artworks.

Ähnlich lebhaft geht es mit “Shadowplay” weiter.  Hier sind es nicht nur einzelne Passagen, sondern die gesamte Gesangsmelodie bleibt sofort im Kopf: “To the center of the city where the roads meet waiting for you”. Zwar handelt es sich dabei durchaus um eine geradlinige Rock-Nummer, jedoch ist im zweiten Instrumentalpart schon jene Art von Gothic Rock zu erahnen, die später einmal “Batcave” heißen wird.

Endspurt: Wildnis

Das folgende “Wilderness” macht seinem Namen alle Ehre. Der Rhythmus ist ungestüm und setzt rumpelnd ein. Der obligatorische Phrasenohrwurm hier ist: “They had tears in their eyes.” Und wie in der Wildnis auch, ist dann, wenn alles einmal Fahrt aufgenommen hat, alles auch schon wieder abrupt vorbei.

Interzone” ist wohl eines der unauffälligeren Stücke des Albums. Schließlich kommt es dem typischen 70er-Rock-Sound am nächsten. Die Vocals sind dabei erfreulich verspielt arrangiert: Ian Curtis singt mit und gegen sich selbst in einer hohen und einer tiefen Stimme. Das ist es wahrscheinlich, was hier eine zu starke Assoziation mit “The Clash” verhindert.Ich sagte ja bereits, dass das Album praktisch zwei Opener hat.

Mit “I remember nothing” hat es aber genau einen Closer. Passender hätte er für die Platte nicht sein können. Die Musik ist atmosphärisch minimalistisch und wird ausschließlich von Curtis’ Gesang belebt. “We were strangers for much too long” verweist auf einen Zustand des Fremdseins, in den uns das Stück wieder entlässt, nach einem Ausflug in die Isolation lethargischer Melancholie: “Me in my own world.”

Die Abgründe des Banalen

Damit ist das Wiederauftauchen aus “Unknown Pleasures” auch sehr gut beschrieben. Hielt die zeitgenössische Kritik das Album für monoton und ausdruckslos, kann ich beides ganz und gar nicht bestätigen. Jedes Mal aufs Neue schafft es die Scheibe, mich in diese ganz bestimmte, verworrene Düsternis mitzunehmen. Langsam, aber nicht kraftlos. Minimalistisch, aber nicht langweilig. Immer glaubwürdig. Und dabei alles andere alles klischeehaft und abgedroschen. Hier ins Melodramatische zu verfallen, wäre unangemessen. Die Düsternis, von der hier die Rede ist, ist eine ganz reale, bodenständige. Sie passt zur kalten, verregneten Novembernacht genauso wie zum sommerlichen Sonntagnachmittag bei blauem Himmel. Ungeahnte Abgründe des Banalen wurden bis dahin noch nie und seither nur äußerst selten so stimmig musikalisch eingefangen, wie es auf “Unkown Pleasures” der Fall war.


Bild 1:

“Saul Bass’ Comprehensive Guide to Joy Division” by Butcher Billy is licensed under CC BY-NC-ND 4.0

Bild 2:

“Saul Bass’ Comprehensive Guide to Joy Division” by Butcher Billy is licensed under CC BY-NC-ND 4.0

Tobias

IT, Sprache(n), Politik, Musik, Literatur. Tut Banane auf Pizza. Ja, wirklich!