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„Dass wir ohne Angst an diesen Ort gehen können“

Ein ehemaliges Leipziger Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald ist heute Treffpunkt für Neonazis. Doch es wird Protest dagegen laut.

Die Gedenkstätte im Wissenschaftspark

Die Gedenkstätte Zwangsarbeit in Leipzig wirkt vergleichsweise winzig zwischen den großen, modernen Gebäuden des Wissenschaftsparks im Osten der Stadt. Von Überlebenden initiiert, erinnert sie seit 2001 an das Schicksal von 60.000 Zwangsarbeiter*innen in und um Leipzig während des Nationalsozialismus. Einst befand sich auf dem besagten Gelände das Hauptwerk der Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft (HASAG), in dem 10.000 Menschen zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gezwungen wurden. Im Sommer 1944 wurde in der Nähe der Fabrik das größte Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Buchenwald errichtet. Bis das Lager im April 1945 geräumt und die Häftlinge auf Todesmärsche getrieben wurden, waren dort insgesamt 5.000 Frauen inhaftiert.

Die Gedenkstätte Zwangsarbeit erinnert an das Schicksal der ca 60.000 Zwangsarbeiter*innen, die während des Nationalsozialismus in Leipzig inhaftiert waren. Sie ist eine wichtiger Ort für Überlebende.

Das ehemalige KZ-Außenlager ist heute ein Neonazi-Treffpunkt

Anja Kruse arbeitet in der Gedenkstätte Zwangsarbeit. „Ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt besteht darin, dass wir eine Anlaufstelle für Überlebende von diesem KZ-Außenlager und deren Familien sind, die natürlich auch diesen Ort aufsuchen wollen“, erklärt sie. Einfach ist das nicht, denn der historische Ort des Lagers in der Kamenzer Straße 10/12 ist aktuell ein Treffpunkt für Neonazis. Konzerte werden hier veranstaltet, mittlerweile auch Kampfsporttrainings. Personen aus dem Umfeld des Treffs waren 2016 am Angriff auf Connewitz beteiligt, bei dem über 200 Neonazis in der Wolfgang-Heinze-Straße Läden zerstörten und Menschen angriffen. Auch zu den Hooligans, die vor Kurzem auf Mallorca einen senegalesischen Türsteher attackiert und schwer verletzt haben, bestehen Verbindungen.

Ist hier Gedenken möglich?

„Es sorgt jedes Mal für Entsetzen, wenn wir den Familien erzählen, was dort passiert“, sagt Anja Kruse. Sie und ihre Kolleg*innen begleiten die Überlebenden und deren Angehörige oft zur Kamenzer Straße. „Da sind überall Kameras, da kommen Autos vorbei. Das ist teilweise schon das Wissen über die Präsenz von bestimmten Personenkreisen dort. Die müssen auch gar nicht zu sehen sein – obwohl sie auch schon zu sehen waren. Ich fühle mich in dem Moment nicht unmittelbar bedroht, aber es ist ein sehr unangenehmes Gefühl“, berichtet sie. Die Gedenkstätte sieht die kommunale und Landespolitik in der Pflicht, zu handeln: „Für uns ist der wichtigste Aspekt, dass wir ohne Angst an diesen Ort gehen können.“

Gedenken an Zwangsarbeit in Leipzig

Die Gedenkstätte Zwangsarbeit in Leipzig war deutschlandweit der erste Gedenkort, der ausdrücklich für Zwangsarbeiter*innen geschaffen wurde und ihr Leben behandelt. Innerhalb der Stadt und Stadtgesellschaft ist das Gedenken an Zwangsarbeit heute ansonsten kaum ein Thema – und das, obwohl in Leipzig zwischen 1939 und 1945 rund 60.000 Menschen zur Arbeit gezwungen wurden. Im gesamten Stadtgebiet gab es etwa 500 Lager und Sammelunterkünfte für Zwangsarbeiter*innen, sechs davon Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Die dort inhaftierten Frauen und Männer mussten für die HASAG und die Erla-Maschinenwerke Waffen und Munition produzieren. In der Ausstellung der Gedenkstätte wird besonders auf das Schicksal der Menschen, die in der HASAG zur Arbeit gezwungen wurden, eingegangen. Außerdem bietet sie Stadtteilspaziergänge, Führungen sowie Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche an.

Es regt sich Protest gegen den Nazitreff…

Der 15. Juni 2019 war ein heißer Tag, gut 30°C und knallende Sonne. Trotzdem zogen etwa 500 Personen fast acht Kilometer weit von der Leipziger Innenstadt bis vor die Kamenzer Straße 10/12. Ihre Forderung: „Für ein würdiges Gedenken! Neonazi-Treffpunkt schließen!“ Organisator der Demonstration war das „Ladenschlussbündnis“, das seit 2018 die Schließung des Szenetreffs im ehemaligen KZ-Außenlager fordert. Weder die Stadt Leipzig noch das Land Sachsen zeige Initiative, erklärt Ramona, die im Bündnis aktiv ist. „Im aktuellen Verfassungsschutzbericht taucht die Kamenzer Straße dahingehend auf, dass die Leute kriminalisiert werden, die gegen diesen Ort protestieren.“

…und für ein würdiges Gedenken

Je näher der Demozug seinem Ziel kam, desto häufiger standen grimmig blickende Männer in einschlägiger Kleidung am Straßenrand. Es blieb bei grimmigen Blicken. Auch vor dem Treffpunkt der Neonazis kam es nicht zur Konfrontation. Vor der Hausnummer 10 befindet sich eine kleine Gedenktafel – so klein, dass sie zwischen all den Demonstrierenden schwierig zu finden war. Ein Vertreter des Verbands der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten e.V. (VVN-BdA) berichtete vor Ort, dass sie seit ihrer Errichtung 2010 bereits sechsmal zerstört oder beschädigt wurde. Auch für den VVN-BdA sei die aktuelle Situation nicht akzeptabel.

Die Protestierenden werden nicht aufgeben

Schließlich ging es gemeinsam zurück in Richtung Innenstadt. Am Ende des Tages waren die Aktivist*innen zufrieden mit der Demonstration. „Wir bleiben weiter dran, recherchieren zum Thema, wollen veröffentlichen und weiter dieses Thema in die Öffentlichkeit tragen und skandalisieren“, sagt Ramona. Denn die Frage bleibt: Wie lange noch dürfen Neonazis auf dem Gelände eines ehemaligen KZ-Außenlagers Kampfsport trainieren?

Weiteren Einblick gibt es in der Instagramstory zum Thema.