Gesundheit braucht Feminismus
Am 6. MĂ€rz 2021 hat das Feministische StreikbĂŒndnis Leipzig zur Kundgebung „Gesundheit ist keine Ware“ auf dem Augustusplatz aufgerufen. Zusammen mit den Leipziger Gruppen Prisma, CoMedS, Pro Choice, dem Medinetz, der Poliklinik und dem BĂŒndnis SolidaritĂ€t – Flatten ALL Curves haben die Aktivist*innen die Themen Gesundheit und Feminismus aus verschiedenen Perspektiven betrachtet/beleuchtet. Lila vom StreikbĂŒndnis erklĂ€rt im Interview, worum es ihnen dabei geht.
Was hat Gesundheit mit Feminismus zu tun?
Es gibt verschiedene Perspektiven auf diese Frage. Eine sind die Pflegeberufe, also beispielsweise Krankenpfleger*in, die hauptsĂ€chlich von FLINTA*-Personen, ausgeĂŒbt werden. Dadurch, dass diese Arbeit als weiblich gilt, wird sie strukturell abgewertet, gering entlohnt und ist hĂ€ufig von neoliberalen SparmaĂnahmen getroffen. Wir wollen thematisieren, was da in unserem Gesundheitssystem schief lĂ€uft: KrankenhĂ€user werden privatisiert und handeln profitorientiert. Fallpauschalen sorgen dafĂŒr, dass Versorgung daran orientiert ist, wie profitabel sie ist. Das fĂŒhrt zu Personalmangel, schlechten Arbeitsbedingungen und dazu, dass Personen, die in der Pflege arbeiten, ĂŒberlastet sind. Diese berufliche Ăberlastung fĂŒhrt wiederum dazu, dass Arbeiten, die aufgrund von Zeit- und Personalmangel nicht mehr in der Pflege geleistet werden, zurĂŒck ins Private verschoben werden. Dann wird zum Beispiel eine Person, die drei Tage zu frĂŒh aus dem Krankenhaus entlassen wurde, zu Hause gepflegt. Und das geschieht meistens durch FLINTA*-Personen.
Wer sind FLINTA*-Personen?
Die AbkĂŒrzung FLINTA* steht fĂŒr Frauen, Lesben, inter, non-binary, trans und agender Personen. Damit wird deutlich gemacht, dass nicht nur cis Frauen gemeint sind, deren GeschlechtsidentitĂ€t mit dem Geschlecht ĂŒbereinstimmt, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. FLINTA* meint alle Geschlechter und IdentitĂ€ten, die in sexistischen Strukturen Diskriminierung, UnterdrĂŒckung und Gewalt erfahren.
Und warum der Genderstern bei Tschop! Tschop! immer dabei ist, das erfahrt ihr hier.
Eine weitere Perspektive auf das Thema Gesundheit und Feminismus ist die der SchwangerschaftsabbrĂŒche. Die sind in Deutschland immer noch illegalisiert. Ărzt*innen, die sie durchfĂŒhren, dĂŒrfen auf ihren Website keine Infos dazu haben. Es kann nicht sein, dass wir immer noch nicht die Möglichkeit und die Voraussetzungen fĂŒr selbstbestimmte SchwangerschaftsabbrĂŒche haben.
Und ganz allgemein ist es fĂŒr uns eine feministische Forderung, dass alle Zugang zu einem Gesundheitssystem haben, das bedĂŒrfnisorientiert handelt und nicht profitorientiert.
In einem Jahr Pandemie haben wir doch alle gemerkt, dass Pflege- und Gesundheitsberufe „systemrelevant“ sind. Trotzdem werden sie immer noch wenig geschĂ€tzt. Woran liegt das?
Ich glaube, dass sich viele immer noch auf dem Klatschen vom Anfang der Pandemie ausruhen. Wie schon gesagt: Pflege- und Sorgearbeiten werden als weiblich angesehen, unsichtbar gemacht und als einfache Arbeit abgewertet. Das Problem hat eine lange Geschichte. Noch vor einigen Jahrzehnten fanden Pflege- und Sorgearbeiten viel mehr im Privaten statt. Sie wurden in Berufe umgewandelt, seit mehr FLINTA*-Personen erwerbstĂ€tig sind. Trotzdem werden sie immer noch als Arbeiten angesehen, die einfach so von der Hand gehen. Als seien sie nicht dasselbe wie Arbeit im BĂŒro oder so, werden sie abgewertet und nicht als richtige Arbeit anerkannt.
Es ist auch ein Problem, dass Pflege- und SorgetĂ€tigkeiten zunĂ€chst erstmal nicht so profitabel sind. FĂŒr den Kapitalismus sind sie wichtig in dem Sinne, dass Arbeitskraft reproduziert wird, aber es wird eben nicht direkt Profit gemacht. Deswegen wird unser Gesundheitssystem so umstrukturiert, dass man so viel Gewinn wie möglich aus ihm ziehen kann. Das heiĂt dann natĂŒrlich auch, dass Personen, die in der Pflege arbeiten, keine hohen Löhne gezahlt werden, oder dass wenig Personal eingesetzt wird, damit mehr Gewinn gemacht wird.
Was ist Reproduktion von Arbeitskraft?
Als „Reproduktionsarbeit“ bezeichnet man Arbeit, die dafĂŒr nötig ist, damit ein Mensch (wieder) arbeitsfĂ€hig ist, also selber wieder produzieren kann. Das bedeutet im Alltag zum Beispiel Essen kochen oder Kinder groĂzuziehen. Und es kann bedeuten, einen Menschen im Krankenhaus zu heilen und zu pflegen.

Ihr fordert „solidarische Gesundheitsversorgung fĂŒr ALLE“. Wer bekommt denn aktuell keine Gesundheitsversorgung?
Wer bei uns wie einfach Zugang zu Gesundheitsversorgung bekommt, ist sehr hierarchisiert: zum Einen durch das Krankenversicherungssystem. Mit privater Krankenversicherung und gesetzlichen Kassen ist es ein Zwei-Klassen-System. Und zum Anderen ist der Staat sehr bĂŒrokratisch und strukturell rassistisch, darum erhalten beispielsweise Personen ohne Aufenthaltsstatus nicht die gesundheitliche Versorgung, die sie erhalten mĂŒssten. Auch fĂŒr obdachlose oder wohnungslose Menschen, oder fĂŒr Asylbewerber*innen ist es nicht einfach, eine Krankenversicherung zu bekommen.
Und was stellt ihr euch unter einer „solidarischen Gesundheitsversorgung“ vor?
Wir wollen eine Gesundheitsversorgung, die an den BedĂŒrfnissen der Menschen orientiert ist und alle Menschen mit einschlieĂt â egal, welche Herkunft oder wie viel Geld sie haben. Wir wollen, dass die Pflege genug Zeit und Anerkennung erhĂ€lt. Im feministischen StreikbĂŒndnis denken wir, dass diese solidarische Gesundheitsversorgung in Kapitalismus und Patriarchat nicht möglich ist. Wir wollen ein gesamtes Umdenken erzeugen. Darum auch unser Motto in diesem Jahr: Die Krise steckt im System, in dem wir leben. Wir mĂŒssen erstmal die Voraussetzungen schaffen, damit wir bedĂŒrfnisorientiert wirtschaften, pflegen und leben können.
Da gibt es viel zu Àndern. Kannst du trotzdem ein paar AnsÀtze nennen, die es momentan gibt, um eine solidarische Gesundheitsversorgung zu erreichen?
Ja, da gibt es zum Beispiel die Poliklinik Leipzig, die ein solidarisches Gesundheitszentrum im Leipziger Osten schaffen. Dann gibt es Medinetz und CoMedS. Medinetz unterstĂŒtzt Menschen, Gesundheitsversorgung zu erhalten, CoMedS bieten ehrenamtliche Ăbersetzungen beim Besuch von Ărzt*innen an. Das sind alles praktische AnsĂ€tze, die Menschen unterstĂŒtzen, Zugang zum Gesundheitssystem zu erhalten. In vielen StĂ€dten gibt es BĂŒndnisse, die sich mit dem Thema der profitorientierten Gesundheit auseinandersetzen, von politischen Gruppen, aber auch von BeschĂ€ftigten und Gewerkschaften. Es ist wichtig, diese KĂ€mpfe und die praktischen AnsĂ€tze zu unterstĂŒtzen, indem man sich selber engagiert, oder, wenn man die Möglichkeit hat, finanziell.

Wenn man sich einbringen will, aber alleine da steht, was kann man dann machen?
Ich glaube, alle Gruppen, die heute bei der Kundgebung waren, sind offen fĂŒr neue Leute. Das Feministische StreikbĂŒndnis hat monatlich ein offenes Onlineplenum, bei dem der Einstieg etwas langsamer lĂ€uft und wir erstmal erzĂ€hlen, wie wir arbeiten. TatsĂ€chlich sind bei uns wĂ€hrend der Corona-Pandemie viele Leute mit eingestiegen. Wir freuen uns immer ĂŒber neue Leute und ich denke, das ist bei den anderen Gruppen genauso. Wenn man selber in einem Pflegeberuf arbeitet, kann man auĂerdem in Gewerkschaften aktiv werden.
Und natĂŒrlich: Kommt mit uns am 8. MĂ€rz, dem internationalen feministischen Kampftag auf die StraĂe! Legt unbezahlte Sorgearbeit und, wenn möglich, auch Lohnarbeit nieder! Die Krise steckt im System â gegen Patriarchat und Kapitalismus!