Sicherheit ohne Polizei: „Abolish the police!“
Der 15. MĂ€rz ist der internationale Tag gegen Polizeigewalt. In diesem Jahr rief in Deutschland ein breites BĂŒndnis bundesweit zu Aktionen auf. In Leipzig gestaltete die Gruppe CopWatch Leipzig ein gemeinsames Graffiti im Rabet an der EisenbahnstraĂe, dazu gab es RedebeitrĂ€ge. Lisa von CopWatch erklĂ€rt im Interview, worum es den Aktivist*innen geht.
Was ist Polizeigewalt?
Polizeigewalt ist erstmal ganz allgemein die Gewalt, die die Polizei in ihrer Funktion ausĂŒbt. Gewalt durch Polizist*innen kann rechtmĂ€Ăig oder auch rechtswidrig sein. Rechtswidrig wird sie dann, wenn sie zum Beispiel unverhĂ€ltnismĂ€Ăig ist, oder wenn die Polizei gar nicht zustĂ€ndig ist, wenn wesentliche Förmlichkeiten, wie zum Beispiel die Androhung von unmittelbarem Zwang, nicht beachtet werden.
Uns ist es relativ egal, ob Polizeigewalt rechtmĂ€Ăig oder rechtswidrig ist, denn jede Art von Polizeigewalt betrifft Menschen und hat oft psychische Folgen. Uns geht es nicht um so etwas wie die Festnahme eines gesuchten Mörders. Die meisten FĂ€lle von Polizeigewalt ereignen sich in verdachtsunabhĂ€ngigen Kontrollen, die eskalieren, oder auf linken Demonstrationen. Dabei betrifft Polizeigewalt nicht alle Menschen gleich, sondern vor allem Schwarze Menschen, People of Color, Linke und arme Menschen.
Deswegen seid ihr auch hier an der EisenbahnstraĂe?
Ja, genau. Wir haben ganz bewusst das Rabet gewĂ€hlt. Dieser Park liegt mitten in der Waffenverbotszone rund um die EisenbahnstraĂe. Hier hat durch die erhöhte PolizeiprĂ€senz auch die Diskriminierung und Gewalt durch die Polizei ein enormes AusmaĂ angenommen.
Rassismus und Gewalt bei der Polizei
Mehr als nur EinzelfĂ€lle: In Polizei und Behörden kamen in den vergangenen Jahren immer wieder unverhĂ€ltnismĂ€Ăige Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus ans Licht. Der Kriminologe Tobias Singelnstein geht von einer hohen Dunkelziffer unverhĂ€ltnismĂ€Ăiger und rassistisch diskriminierender Polizeigewalt aus â darauf deuten die Ergebnisse der KViAPol-Studie hin. Der Polizist Oliver von Dobrowolski spricht offen ĂŒber Probleme unter Sicherheitsbeamt*innen, beispielsweise in diesem Interview.
Was ist die Waffenverbotszone?
Die Waffenverbotszone wurde vor zweieinhalb Jahren als neues Sicherheitsinstrument eingefĂŒhrt. In dieser Zone steht das MitfĂŒhren von Waffen und gefĂ€hrlichen GegenstĂ€nden unter Strafe. Die Polizei kann hier jederzeit verdachtsunabhĂ€ngige Personenkontrollen durchfĂŒhren. In den letzten Jahren haben wir aber nicht beobachten können, dass es dadurch weniger bewaffnete Gewalttaten oder generell weniger Gewalt gibt. Die Probleme im Viertel bleiben bestehen, aber die Menschen hier werden kriminalisiert. Der gesellschaftliche Rassismus zieht sich auch durch die Polizei. Vor allem Schwarze Menschen und People of Color, die von der Polizei als „nicht deutsch“ wahrgenommen werden, sind von rassistsich diskriminierenden Polizeikontrollen, dem Racial Profiling, betroffen. Aber auch andere Personengruppen, wie Prekarisierte Menschen, die von der Polizei als arm gelesen werden, linke oder alternativ aussehende Leute werden von der Polizei als „gefĂ€hrlich“ markiert.
Aber wir freuen uns auch ein bisschen: Heute ist Stichtag zur Abschaffung dieser Waffenverbotszone!  Nach viel berechtigter Kritik durch Nachbar*innen und soziale Akteur*innen hat der Leipziger Stadtrat einen entsprechenden Beschluss verabschiedet [Anmerkung der Redaktion: Der Beschluss sieht vor, dass der OberbĂŒrgermeister das Land auffordern soll, die Waffenverbotszone einzustellen, wenn bis zum 15.03.21 keine Evaluation vorgelegt wird]. Und nun ist Innenminister Wöller eigentlich gezwungen, zu handeln und ich hoffe auch, dass er das sehr ernst nimmt und die Waffenverbotszone sofort abschafft.
Was mĂŒsste aus eurer Sicht passieren?
Wir fordern, die Polizei abzuschaffen: Abolish the Police! Allerdings bedeutet das nicht, dass man ersatzlos die Polizei einfach abschafft, sondern es geht darum, alternative und soziale Sicherheitssysteme zu entwickeln. In den Nachbarschaften mĂŒssen solidarische Strukturen entstehen. Wir mĂŒssen uns Gedanken darĂŒber machen, wie man Sicherheit fĂŒr Menschen anders organisieren kann, ohne die Polizei als gewaltvolle, gewaltausĂŒbende Institution.
Und wir sollten schauen: Was fĂŒr KriminalitĂ€t gibt es denn, die wirklich zu bekĂ€mpfen ist? Das sehen wir zum Beispiel nicht bei DrogenkriminalitĂ€t, denn es handelt sich dabei um opferlose Delikte. Wir sehen genauso nicht ein, dass Migration kriminalisiert werden sollte.
Woher kommt diese sogenannte KriminalitĂ€t? Bei KriminalitĂ€tsfĂ€llen wie Diebstahl oder Vermögensdelikten sieht man ganz klar, dass die Probleme vor allem daher rĂŒhren, dass viele Menschen arm sind. Man geht nicht aus SpaĂ klauen. Die meisten Menschen werden in die KriminalitĂ€t gedrĂ€ngt, weil sie illegalisiert sind, weil sie arm sind. Das sind die Probleme, an denen wir ansetzen mĂŒssen. Nur so kann man die KriminalitĂ€t reduzieren.
Was kann Polizeigewalt entgegenwirken?
GrundsĂ€tzlich mĂŒssen wir einen viel schĂ€rferen MaĂstab an die Polizeibeamt*innen anlegen als an alle anderen Menschen, weil sie diejenigen sind, die mit Waffen rumlaufen und deren Wort bedeuten kann, dass ein Mensch, auch wenn er unschuldig ist, eine lange Zeit im GefĂ€ngnis sitzt.
Es gibt mehrere Ebenen: Die Toxisch-mĂ€nnliche Polizeikultur, die „Cop-Culture“ spielt auch in der Gewaltfrage eine extrem groĂe Rolle. Polizist*innen nutzen Gewalt oft, um sich ihrer eigenen Macht zu vergewissern. Auch weibliche Beamt*innen adaptieren diese Verhaltensweisen. Wenn es zu Polizeigewalt kommt, hat das meist kaum Konsequenzen fĂŒr die beteiligten Beamt*innen, denn es gibt ĂŒberhaupt keine Fehlerkultur innerhalb der Polizei. Die Polizist*innen decken sich gegenseitig. Sie vereiteln die AufklĂ€rung von Straftaten ihrer Kolleg*innen, natĂŒrlich, weil sie jeden Tag weiter zusammen arbeiten mĂŒssen.
Wir brauchen Kennzeichnungspflichten und unabhĂ€ngige Beschwerdestellen. In der Ausbildung braucht es Reformen, die dazu fĂŒhren, dass sich diese Cop Culture nicht durchsetzt. Und wir brauchen eine ganz, ganz, ganz konsequente Entnazifizierung unserer Sicherheitsbehörden. Es gibt in der Polizei eine HĂ€ufung von rechten und rassistischen Einstellungsmustern. Die fĂŒhren dann wieder dazu, dass bestimmte Gruppen mehr kontrolliert werden und bestimmte Gruppen von Menschen auch mehr Gewalt erfahren.
Auf der Kundgebung wurde auch an von der Polizei ermordete Menschen gedacht. Der 19-jĂ€hrige Qosay Sadam Khalaf ist vor kurzem unter unklaren UmstĂ€nden in Gewahrsam der Polizei in Delmenhorst gestorben. RegelmĂ€Ăig sterben Menschen in Polizeigewahrsam oder durch Polizeigewalt. Die Kampagne „Death in Custody“ dokumentiert die VorfĂ€lle.
Wohin kann man sich jetzt wenden, wenn man selber von Polizeigewalt betroffen ist?
Man kann sich auf jeden Fall an uns wenden. In anderen StĂ€dten gibt es Ă€hnliche Projekte, Cop Watch Gruppen oder die Kampagne âOpfer rassistischer Polizeigewaltâ. In Dresden haben wir die Kooperation gegen Polizeigewalt, die wichtige Dokumentationsarbeit macht, auch mit einem BĂŒro vor Ort.
Wir empfehlen, sich an die Ăffentlichkeit zu wenden und diese FĂ€lle zu skandalisieren.Die Verharmlosung als „einzelne schwarze Schafe“ muss aufhören und die strukturellen systematischen Probleme dahinter erkannt werden.
Wir glauben, es braucht viel öffentlichen Druck. TatsÀchlich ist der auch im letzten Jahr gestiegen, aber es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun.
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