Gesellschaft

Kein Sterbenswörtchen?

Der Tod galt der westlichen Gesellschaft lange als ein absolutes Tabuthema. Wurde er angesprochen, dann meist, wenn es einen Anlass gab, also einen Todesfall, und auch dann häufig nur im Privaten. Doch das ändert sich. Tod, Sterben und Trauer werden mehr und mehr in den Medien thematisiert. Prominente Beispiele sind der Podcast „endlich.“ und der Blog „Sterben üben“. In der öffentlichen Diskussion kommt der Tod zur Sprache. Kann auch die Universität ein Ort dafür sein? Auf den ersten Blick sind hier studentische Themen wie Mensaessen oder Prüfungsstress wichtiger. Ein genauer Blick auf die Universität in Halle zeigt aber, dass auch Tod und Trauer zum Hochschulleben gehören können.

Können wir kurz über den Tod reden?

Spontan auf den Tod angesprochen, reagieren einige Studierende auf dem Campus der Universität Halle zunächst etwas verschreckt. Der Zusatz „Keine Angst, es wird nicht persönlich“ bewegt sie dann aber doch, sich auf ein Gespräch einzulassen. Jenseits von individuellen intimen Erfahrungen: Wie viel Platz hat der Tod an der Universität? Und wie viel sollte ihm gegeben werden?

„An der Universität darüber zu reden, ist vielleicht zu spät.“

Nadine, Jurastudentin an der Universität Halle

Alle Befragten bestätigen, dass die Gesellschaft davon profitieren könne, mehr über Tod, Sterben und Trauer zu reden. Ob aber die Uni dafür der richtige Ort sei, da ist man sich nicht ganz einig. Rosalie, die Kunstgeschichte und Ethnologie studiert, meint, wahrscheinlich müsse nicht nur die Uni Halle, sondern jede Universität den Themen mehr Raum geben. Sie denkt: „Wenn mehr darüber gesprochen wird, kann auch ein anderer Umgang geschaffen werden.“ Jurastudentin Nadine gibt allerdings zu bedenken: „An der Universität darüber zu reden, ist vielleicht zu spät. Das könnte schon vorher in die schulische Aufklärung fallen.“

„Die haben hoffentlich was anderes im Kopf“

Jörg Ulrich ist seit 2003 Universitätsprediger in Halle. Seitdem habe er dort nur zwei Beerdigungen gehalten. An der Universität sei er für Taufen und Trauungen wesentlich gefragter: „Wenn da ein glückliches Paar vor mir steht, muss ich nicht mit Tod anfangen. Die haben ja hoffentlich was anderes im Kopf.“ Tod und Trauer seien keine Themen seines Alltags. Angesprochen werden sie vor allem in der Ausbildung angehender Pfarrer*innen. Und immer dann, wenn es eben doch nötig ist: Nachdem am 9. Oktober in Halle zwei Menschen bei einem rechtsradikalen Anschlag getötet wurden, organisierten verschiedene Kirchen und ihre Vertreter*innen einen großen Gedenkgottesdienst in der Stadt. Auch Jörg Ulrich war daran beteiligt. „Das war bei uns in guten Händen. Dafür leistet sich die Universität auch einen Prediger, damit er im Falle eines Falles da ist. Andererseits wäre ich natürlich froh, hätte ich da nie in Aktion treten müssen.“

„Sollten wir ein bisschen mehr machen? Oder sollten wir es vielleicht bewusst lassen, weil eigentlich andere da kompetenter sind als wir?“

Jörg Ulrich, Universitätsprediger in Halle

Auf die Frage, ob Tod und Trauer im universitären Alltag mehr besprochen werden sollten, stellt Ulrich die Gegenfrage: „Oder sollten wir es vielleicht bewusst lassen, weil eigentlich andere da kompetenter sind? Es gibt Kirchgemeinden, Krankenhäuser, Hospize, Seelsorge und so weiter. Die machen das ja auch. Und Gott sei Dank machen die das!“

Prüfungs- statt Trauerphase

Eine Stelle, an der der Tod häufig angesprochen wird, ist die psychosoziale Beratung des Studentenwerks Halle. Annett Zehnpfund arbeitet hier als eine von vier Berater*innen. Sie hat laut ihrer Statistik im letzten Jahr 20 bis 25 Student*innen bei Problematiken rund um Tod und Trauer beraten. Auffällig sei für sie, wie schwer es für viele ist, die Trauer zuzulassen und so zu verarbeiten. „Die Studierenden sind in ihrem Leistungsstreben, wollen weiter studieren oder in ihrem Alltag bleiben. Oder es stehen Prüfungen an“, erklärt sie. „Da kann die Trauer natürlich nicht richtig bearbeitet werden. Ich rate den Studierenden, Trauerphasen zu durchlaufen, die auch emotionsreich sein dürfen.“ Bei der Frage, ob die Universität dem Tod mehr Platz einräumen sollte, muss sie etwas bitter lachen: „Das ist so ein generelles Ding in Deutschland, wie mit Trauer umgegangen wird. Ich denke, da können wir alle noch was lernen. Es wäre gut, wenn sie mehr Platz bekommt.“

Sollten wir über den Tod reden?

An der Universität sind andere Themen oft wichtiger als der Tod. Aber ganz fern oder irrelevant ist er nicht. Im universitären Alltag über Sterben, Tod und Trauer zu reden, könnte im Ernstfall dabei helfen, damit umzugehen.

Bilder: Katie Montgomery, Kristina Flour, Nathan Dumlao, Ross Sneddon