Was war? Ermordung Kurt Eisners – 21. Februar
Ich weiß noch, wo und wann ich zum ersten Mal über den Namen Kurt Eisner gestolpert bin. Nein, es war nicht im Geschichtsunterricht, sondern in der Straßenbahn. Genauer: In Leipzig, Linie 11, Richtung Innenstadt fahrend, Mai 2008. Zum ersten Mal in der Stadt war natürlich alles neu und aufregend für mich. Entsprechend aufmerksam saß ich in der Tram und hörte den Ansagen zu. Und eine lautete eben: „Nächste Haltestelle: Karl-Liebknecht-/Kurt-Eisner-Straße“. Von Liebknecht wusste ich ja, wer er war. Ja, aus dem Geschichtsunterricht. Aber wer war Kurt Eisner?
Ganz kurz formuliert erklärt die Stadt Leipzig in ihrem Straßenverzeichnis: „Benannt nach Kurt Eisner, geb. 14.05.1867, ermordet 21.02.1919 in München, Journalist und Schriftsteller, Ministerpräsident der Bayrischen Räterepublik 1919.“ Ein bisschen mehr lässt sich aber schon noch sagen.
Eisners politisches Leben begann in Berlin und in der SPD, für deren Zeitung „Vorwärts“ er lange Jahre schrieb und führende Rollen innehatte. Die Weichen für das, wofür heute Straßen nach ihm benannt werden, stellten sich aber erst im Zuge des ersten Weltkriegs. Die Frage nach der Aufnahme von Kriegskrediten wurde 1914 im Reichstag verhandelt. Für die SPD stellte sie eine Zerreißprobe dar. Diejenigen, die unter keinen Umständen den heraufziehenden Krieg finanzieren wollten, spalteten sich von der Sozialdemokratischen Partei ab und gründeten unter Karl Liebknecht die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). War Eisner zu Beginn des Krieges noch verhalten patriotisch gestimmt, entwickelte er in dessen Verlauf mehr und mehr eine pazifistische Grundhaltung, die ihn 1917 zum USPD-Übertritt bewegte.
Revolution auf Bayrisch
Ende 1918 schließlich endete der große Krieg. Die Novemberrevolution brachte, von den Küsten ausgehend, in ganz Deutschland die politischen Strukturen ins Wanken. In Bayern, wo Kurt Eisner seit 1907 lebte, war das auch so. Seit Ende 1916 hatte er mit der Münchner USPD wöchentliche Anti-Kriegs-Diskussionen veranstaltet und immer wieder Streiks organisiert. So auch Ende 1918. Ein Demonstrationszug am 07. November, dem sich in seinem Verlauf immer mehr Leute anschlossen, endete schließlich als Massenkundgebung auf der Theresienwiese.
Da die Demo sich unter der Führung von Kurt Eisner und Ludwig Gandorfer nahezu ungehindert überall in der Innenstadt bewegen konnte, war die Sicherheit des Machthabers (König Ludwig III.) nicht mehr gewährleistet. Er musste auf Anraten seiner Minister fliehen. In der sich anschließenden Nacht formierte sich der Münchner Arbeiter- und Soldatenrat, dessen Vorsitzender Kurt Eisner wurde. Kurt Eisner war es auch, der in dieser Nacht die Republik Bayern ausrief: „Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt! Bayern ist fortan ein Freistaat!“ Damit war er fast einen ganzen Tag schneller als die in wirklich allen Geschichtsbüchern auftauchenden Republikausrufungen von Philipp Scheidemann und Karl Liebknecht am 09. November in Berlin.
Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt! Bayern ist fortan ein Freistaat!
Kurt Eisner
Über Nacht wurde Eisner durch eine unblutige Revolution zum Regierungschef, Bayerns erster Ministerpräsident. Da er sicht nicht nur als Pazifist und Sozialist, sondern vor allem auch als Demokrat begriff, war es ihm ein Anliegen, möglichst bald das Volk selbst in Wahlen über ihre Regierung entscheiden zu lassen. Trotz seiner in München ausgesprochen großen Beliebtheit und seiner Wahlkampfbemühungen verlor seine Partei die ersten Landtagswahlen in Bayern am 02. Februar 1919 krachend. Bei einer Wahlbeteiligung von 86 % hatten gerade einmal 2,53 % der USPD ihre Stimme gegeben. Für drei Sitze im Landtag reichte das, nicht aber zum Regieren. Eisner zog die Konsequenzen daraus und bereitete seinen Rücktritt vor. Mit einer Rede wollte er den neu gewählten Landtag am 21. Februar eröffnen und die Gelegenheit nutzen, um seinen Rücktritt zu verkünden. Doch dazu kam es nie.
„Man kann mich ja nur einmal totschießen.“
Aufgrund vorangegangener Morddrohungen wurde Eisner angeraten, sich nicht allzu sorglos durch die Öffentlichkeit zu bewegen. Das kam für ihn aber gar nicht in Frage: „Man kann einem Mordanschlag auf die Dauer nicht ausweichen, und man kann mich ja nur einmal totschießen.“ Kurt Eisner befand sich auf dem Weg zum Landtag und war in Begleitung seines Sekretärs und eines Mitarbeiters sowie zweier Leibwächter. Nach etwa 100 Metern richtete ein Korpsstudent und beurlaubter bayerischer Leutnant zwei Schüsse aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsident. Eisner war sofort tot. Der Täter hatte klar politische Motive und rechtfertigte sein Handeln in einer Notiz: „Eisner ist Bolschewist, er ist Jude, er ist kein Deutscher, er fühlt nicht deutsch, untergräbt jedes vaterländische Denken und Fühlen, ist ein Landesverräter.“
Am 06.02. erst hatte in München eine Trauerfeier der USPD für die gerade ermordeten Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Franz Mehring stattgefunden. Am 26. Februar wurde Bayerns erster Ministerpräsident mit einem Trauerzug zu Grabe getragen, an dem sich ca. 100.000 Menschen beteiligten. Der Romanist und spätere Holocaustüberlebende Victor Klemperer war zu dieser Zeit als Zeitungskorrespondent in München. Am 22.02., dem Tag nach dem Attentat, schickte Klemperer seine Schilderung der Münchner Ereignisse nach Eisners Ermordung an seine Redaktion. Darin bezeichnete er den Mordanschlag als beispiellose Dummheit und würdigte Eisners politische und menschliche Integrität. Es sei nicht zu bezweifeln, dass Eisner in seinem einnehmenden Wesen stets die besten und ehrlichsten Absichten gehabt habe, weshalb „der tote Eisner heute unendliche viel mehr Anhänger [hat] als der lebende je besessen hat.“
Wie viele Anhänger*innen Kurt Eisner heute noch hat, lässt sich schwer sagen. Die CSU gehört aber mit Sicherheit nicht dazu. Vor Kurzem erst feierte der Freistaat Bayern glamourös sein 100-jähriges Bestehen. Anlass genug für einen Staatsakt, bei dem auch Eisners Amtsnachfolger – so gesehen sein Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel – Ministerpräsident Markus Söder eine Festrede hielt. Wie früh Bayern schon über eine Verfassung verfügte, würdigte er darin. Wie früh es in Bayern schon demokratisch zugegangen ist, lobt er. Wer aber unerwähnt geblieben ist, war die Person, ohne die Bayerns Demokratisierung sicher anders ausgeshen hätte, wenn sie nicht sogar ganz unterblieben wäre: Kurt Eisner.
Hallo,
die Kurt-Eisner-Straße in Leipzig erhielt 1945 ihre Namen. In Bayern gibt es bezeichnenderweise nur zwei Straßen, die nach ihm benannt sind.
Über die sich verändernde Erinnerungskultur habe ich hier gebloggt:
https://teresaohneh.wordpress.com/2019/05/12/blogparade-dhmdemokratie-demokratisierung-von-denkmaelern-durch-graffiti-kuenstler/
Viele Grüße aus Bayern!
Heyho! Wow, wirklich bezeichnend. Vielen Dank jedenfalls für Deinen Link. Die Perspektive Kunst als Teil der Erinnerungskultur war mir im Zusammenhang der „Räterepublik“ völlig neu.
Herzliche Grüße aus Leipzig retour!