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Last lunchtime in Sweden – Mal gegen Nazis auf die Straße gehen

Der Frühling ist da und es ist Wochenende. Doch anstatt im Park die Sonne zu genießen, hieß es „Nazis gucken“ in schwedischen Innenstädten.

Die Vorgeschichte

Die „Alternativ för Sverige“ (AfS) kündigte einen Infostand in der Göteborger Innenstadt an. Die Partei ist eine rechte Abspaltung der rassistischen Schwedendemokraten. Die Gründer der AfS überschätzten ihre Rolle innerhalb der Schwedendemokraten und ließen es auf eine Machtprobe ankommen. Diese scheiterte, sie wurden aus den Schwedendemokraten ausgeschlossen und gründeten deshalb im Mai 2018 ihre neue Partei. Manche Beobachter*innen veorten die AfS im Spektrum der Ideologie von der so genannten „weißen Überlegenheit“ (in Deutschland auch häufig mit dem englischen Begriff „White Supremacy“ bezeichnet). Ihre Anhänger*innen glauben, dass Personen mit „weißer“ Hautfarbe Personen mit anderer Hautfarbe überlegen sind. Aus dieser angenommenen Überlegenheit werden Herrschaftsansprüche abgeleitet. Weit verbreitet in der AfS ist auch die Verschwörungstheorie des Terroristen von Christchurch, nach der Weiße durch Pläne irgendwelcher Eliten zu einer Bevölkerungsminderheit in Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland gemacht werden sollen.

Im Wahlkampf zu den schwedischen Reichstagswahlen im September 2018 spielte die AfS kaum eine Rolle: In der Berichterstattung kam sie als Splitterpartei nicht vor und zu ihren Veranstaltungen kamen wenige Leute. Um dennoch wahrgenommen zu werden, setzte die Partei auf Provokationen in den sozialen Medien – ohne Erfolg. Sie erzielten weniger als 0,5% der abgegebenen Stimmen und sind in weiter Ferne der Vierprozenthürde. Eine neue Strategie musste her. Uns so beansprucht die AfS nun eine Führungsrolle in Schwedens außerparlamentarischer rechter Szene.

Gegenprotest auf Schwedisch

Für einen Samstagvormittag Ende März kündigte die AfS also ihren Infostand in der Göteborger Innenstadt an. Und Gründe, um dagegen zu sein, hat die AfS selbst ausreichend geliefert. Proteste dagegen regten sich entsprechend zeitig und es wurde fleißig zur Teilnahme aufgerufen. Eine Gelegenheit, schwedische Protestkultur und Polizeitaktik kennenzulernen und gleichzeitig gegen Nazis auf die Straße zu gehen.

Die Redebeiträge der AfS waren eine Mischung aus Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, die sich auch in diversen deutschsprachigen sozialen Netzwerken findet. Nur eben auf Schwedisch vorgetragen. In einer der Reden wurde die „Alternative für Deutschland“ als Vorbild und Verbündete bezeichnet. Die Namensähnlichkeit bei AfS und AfD ist nicht zufällig: Der Name der AfD war erklärtes Vorbild. Auch in der  Gründungsgeschichte ähneln sich beide Parteien. Nur wurde hier den Schwedendemokraten – und nicht der CDU – vorgeworfen, verweichlicht zu sein.

Einer der Hauptunterschiede zwischen AfS und Schwedendemokraten trat in den Reden auch zu Tage: Die Schwedendemokraten versuchen sprachlich weniger radikal aufzutreten. Auch durch den bereits erwähnten Antisemitismus unterscheiden sich AfS und Mutterpartei: Während die AfS auf Innenstadtplätzen offen antisemitische Reden schwingt, versuchen sich die Schwedendemokraten als Gegner des Antisemitismus zu inszenieren. Und es gibt eine Parteihymne (ein Mix aus Elektro und Redeschnipseln), die zu Beginn abgespielt wurde! Insgesamt fanden sich vielleicht 50 Leute, vom Nazi-Actionman mit Skibrille und Nationalfahnenumhang bis zu Scheitelträgern im Mantel, ein, um den Reden der AfS-Kader zuzuhören.

Panorama-Aufnahme des Geschehens: Göteborgs Innenstadt mit AfS-Versammlung (links), der Polizei (Mitte) und dem Gegenprotest (rechts).

Inga nazister på våra gator!“ – „Keine Nazis auf unseren Straßen!“

Gut 80 bis 110 Personen folgten dem Aufruf zum Gegenprotest und versuchten die Reden zu übertönen. Die grundlegende Idee, die Reden der Rechten zu übertönen, dürfte sicherlich deinigen bekannt vorkommen. Und mit „Alerta, Alerta, Antifascista!“ gab es einen mir schon vorher bekannten Sprechchor. Dieser lässt sich sinngemäß mit „antifaschistischer Alarm“ übersetzen und wurde in den 1920er Jahren in Italien geprägt. Was der Gegenprotest noch so rief, lässt sich mit „Fahrt zur Hölle!“ und „Keine Nazis auf unseren Straßen“ ins Deutsche übersetzen.

Anders als in Deutschland gibt es in Schweden kein Vermummungsverbot und so standen Vermummte neben unter anderem jungen Paaren mit Kinderwagen. Aber ohne Vermummungsverbot ist die Gefahr geringer, dass die Polizei gewaltsam gegen Protestierende vorgeht und der Kinderwagen stand deshalb völlig sicher.

Positiv überrascht war ich von den – handgezählt – 11 Mitgliedern der Jugendorganisation der schwedischen Liberalen. Diese schlossen sich zwar nicht dem bunt gemischten Gegenprotest an, sondern blieben für sich. Aber sie kritisierten deutlich den Rassismus der AfS. Für Personen, die mit den sonstigen Akteur*innen und deren Protestformen auf Demonstrationen nicht viel anfangen können, ist eigener Protest eine nachahmenswerte Idee. Beinahe noch mehr überrascht hat mich die Polizeitaktik, die auf konsequente Trennung der Lager mit Gittern und Autos setzte und sich ansonsten zurückhielt (vom Abfilmen des Gegenprotests abgesehen). Lediglich nach dem Ende der AfS-Kundgebung musste die Polizei rechte Provokationen unterbinden. Verglichen mit Demonstrationserfahrungen in Ostdeutschland haben die Polizist*innen ruhig und besonnen agiert. Beleidigungen oder gar Schläge und Tritte, waren nicht zu hören bzw. sehen.

Nach nicht mal einer Stunde war die Kundgebung vorbei und ich ging dann doch noch den Frühling genießen.