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Leipzigs solidarische Nachbarschaften

Sicher und bezahlbar wohnen, das ist immer wichtig und in der Pandemie noch wichtiger geworden. Doch selbstverständlich ist es nicht. Am 27. März 2021 fanden europaweit Veranstaltungen zum „Housing Action Day“ statt. In Leipzig organisierten verschiedene Initiativen und Bündnisse in verschiedenen Stadtteilen Aktionen rund um das Thema Wohnen. Tschop! Tschop! hat in zwei Vierteln vorbeigeschaut.

Erste Station: Kleinzschocher

Am Adler hat das „Solidaritätsnetzwerk Leipzig“ einen Infostand aufgebaut. Es gibt Redebeiträge zu hören und rund um den Platz hängen Schilder und Informationen an Laternen und Ampeln. Harris erklärt im Video, wie das Solidaritätsnetzwerk Nachbarschaften dazu anregt, sich zu organisieren.

Housing Action Day Leipzig 2021 – Interview mit dem Solidaritätsnetzwerk Leipzig

Zweite Station: Neustadt-Neuschönefeld

Foto von Samanta Gorzelniak
Samanta Gorzelniak ist Geschäftsführerin des Pöge-Haus-Vereins.

In Neustadt-Neuschönefeld gibt es ein Hausprojekt, das mehr ist als „nur“ das. Das Pöge-Haus ist Wohnhaus, Veranstaltungsraum und Bildungsort in einem. Seit der Eröffnung 2014 hat das Haus sich zu einem wichtigen sozio-kulturellen Zentrum im Leipziger Osten entwickelt. Samanta Gorzelniak ist Geschäftsführerin des Vereins und wohnt im Pöge-Haus. Für sie ist eine offene und aufmerksame Nachbarschaft essentiell für eine solidarische Stadt: „Wenn man Interesse an den Menschen hat, die um einen herum wohnen und mit ihnen Kontakt pflegt, kriegt man sofort sehr viel mit, auch persönliche Geschichten.“ Vernetzung funktioniere am besten über Begegnungen und Veranstaltungen, beispielsweise eine Filmvorführung: „Einfach raus mit einer Leinwand, einem Beamer, an eine Ecke und die Leute laufen vorbei, bleiben stehen, man kommt ins Gespräch.“

Aus Gesprächen wird Initiative

Aus nachbarschaftlichem Austausch können dann Zusammenschlüsse entstehen, die strukturelle Probleme angehen: „Erstmal kann man überhaupt auf Probleme aufmerksam machen und das, was direkt vor der eigenen Tür passiert wahrnehmen, signalisieren und weitertragen. Es gibt zum Beispiel das Aktionsbündnis Ost, wo sich viele Akteure regelmäßig treffen und wo Dinge wie Vermüllung oder Obdachlosigkeit thematisiert werden: Was fällt auf? Wo muss man genauer hingucken? Was sind Lösungen für bestimmte Probleme?“

Kundgebung zum Housing Action Day in Neustadt-Neuschönefeld

Etwa 150 Menschen kamen laut Samanta Gorzelniak zum Housing Action Day im Leipziger Osten zusammen. Eine von ihnen ist Christin Melcher, Landtagsabgeordnete der Grünen, die ebenfalls im Pöge-Haus wohnt. „Die Pandemie hat nochmal sehr deutlich gemacht, dass Wohnen ein Menschenrecht ist“, erklärt sie, „aber die Situation hat sich durch die Pandemie nochmal sehr verschärft. Die Mieten steigen ununterbrochen, aber die eigene Wohnung ist ja das, worauf wir ein Stück weit zurückgedrängt sind. Darum müssen wir dafür sorgen, dass sich alle Menschen das Wohnen leisten können.“

Bei der Miete wird das Private politisch

Foto von Christin Melcher
Christin Melcher ist Landtagsabgeordnete für die Grünen in Sachsen und wohnt im Pöge-Haus.

Dass die Mietpreise im Viertel durch Luxussanierungen steigen oder Familien sich in ihrem Stadtteil keine Wohnung mehr leisten können, die groß genug für sie ist, sei kein Problem, das individuell gelöst werden muss, erklärt Christin Melcher: „Es gibt politische Instrumente wie die Mietpreisbremse, die Kappungsgrenze und die Zweckentfremdungssatzung. Dadurch dürfen hier zum Beispiel keine Wohnungen mehr für Ferienwohnungen freigegeben werden.“ Wer etwas an der Situation ändern will, könne sich zunächst an den Mieterverein wenden, um Protest zu üben, oder sich politisch engagieren, um in der Mietenpolitik etwas zu ändern.

Bremse, Grenze, Satzung, Hä?!

Durch die Mietpreisbremse dürfen in Deutschland Wohnungen in Gebieten mit „angespanntem Wohnungsmarkt“ nur mit einem höchstens zehn Prozent höheren Preis als vergleichbare Wohnungen vor Ort neuvermietet werden. Das gilt allerdings nicht für Neubauten. Und ob ein Wohnungsmarkt „angespannt“ ist, entscheiden die Bundesländer. Für Leipzig wird im Stadtrat, Landtag und durch Initiativen momentan noch um diese Entscheidung gestritten.

Die Kappungsgrenze gilt in der Stadt dagegen vorerst noch bis 2025. Durch sie dürfen Mieten bei bereits existierenden Mietverträgen innerhalb von drei Jahren höchstens um 15 Prozent steigen und dabei nicht teurer werden als der Mietspiegel im Viertel.

Eine Wohnung gilt als zweckentfremdet, wenn sie, nun ja, nicht zu ihrem eigentlichen Zweck genutzt wird. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sie nicht von Mieter*innen bewohnt, sondern regulär auf Airbnb angeboten wird. Ein Zweckentfremdungsverbot hätte Leipzig zwar gern – zumindest wurde durch den Oberbürgermeister schon 2018 einen Antrag dafür gestellt – allerdings fehlt das landesweite Gesetz dafür.

Eine solidarische Insel in der Nachbarschaft

Das Pöge-Haus sieht mit seiner bunten Fassade einladend aus. Wenn man den Bewohnerinnen des Hausprojekts zuhört, klingt es wie eine Insel aus solidarischen Initiativen und kreativen Projekten inmitten von Waffenverbotszone, Luxussanierungen und miesen Mietverhältnissen. „Als wir das Haus vor sieben oder acht Jahren gekauft haben, waren die Preise auch einfach nochmal andere“, berichtet Christin Melcher, „Aber nichtsdestotrotz gibt es in Leipzig sehr viele Hausprojekte und kreative Menschen, die sich zusammentun um sie zu realisieren.“ Doch auch bei aller Kreativität werde es mit den steigenden Preisen in der Stadt schwierig.

Der Streit für bezahlbares Wohnen geht weiter

Ob in Kleinzschocher, Neustadt-Neuschönefeld oder an den anderen Orten, an denen zum Housing Action Day Action los war, in Leipzig ist Protest für bezahlbaren Wohnraum wichtig. Den unterschiedlichen Initiativen geht es dabei nicht nur um die eigenen vier Wände, sondern darum, solidarische Strukturen in der Nachbarschaft aufzubauen und sie über die Stadt hinweg (und auch darüber hinaus) zu vernetzen. Denn auch mit Pandemie endet der Horizont nicht an der Wohnungstür.

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