FeaturedKunst & KulturWas war?

Was war? 30. November – Pink Floyd veröffentlichen ihr Konzeptalbum “The Wall”

Als ich aufgewachsen bin, waren Pink Floyd für mich Alte-Leute-Musik. Einerseits deswegen, weil sich deren Alben in der Plattensammlung meines Vaters fanden und andererseits, weil ihnen eine Doppelseite in meinem Musikbuch der Mittelstufe gewidmet war. Selbstverständlich waren auch die Noten und der Text von “Another Brick in The Wall (pt. 2)” dort abgedruckt. Und das war schon Teil des Problems: Der Song hatte sich komplett verselbstständigt, was seine Verbreitung betrifft. Der “We don’t need no education” singende Kinderchor spielte in derselben Liga der popkulturellen Unerträglichkeit wie etwa “We are the champions”. Daher habe ich die Band lange Zeit ignoriert. Dass ich Pink Floyd und dem 1979 erschienenen Album “The Wall” massiv Unrecht damit tat, sie/es auf ein einzelnes Lied zu reduzieren (und dann auch noch dieses!), habe ich erst viel später bemerkt. (M)Eine Würdigung zum vierzigsten Jahrestag der Veröffentlichung.

It’s a Leitmotiv, stupid!

Was wir vor uns haben, ist das am häufigsten verkaufte Doppelalbum der Welt. Bis zu Michael Jacksons “Thriller” war es sogar ein paar Jahre das kommerziell erfolgreichste Album überhaupt. Aber warum überhaupt? Die Musik darauf war weder bahnbrechend neu noch gab sie Songs mit Hit-Potential her. Im Gegenteil, vieles davon ist sperrig und bietet keinen rechten Zugang, während anderes sich sogar wiederholt. Aber beides ist durchaus gewollt. Denn das Sperrige dient der dramatischen Inszenierung einer Geschichte. Ebenso wie die Passagen, die sich in unterschiedlichen Songs wiederholen. Das nennt sich dann “Leitmotiv”. Das verweist auch schon auf den Grund, weshalb “The Wall” damals wie heute etwas besonderes ist: Es ist ein Konzeptalbum, das eine allzu menschliche Geschichte erzählt. Es ist rockiges Theater für die Ohren.

Verteilt auf zwei Schallplatten erzählt der Rockstar Pink die Geschichte seines Lebens. Kaum überraschend, dass dieses sehr viele Parallelen zu dem von Pink Floyd-Bassist Roger Waters aufweist, dessen Idee das Album war. Pink jedenfalls kehrt musikalisch sein Innerstes nach außen und beschreibt seine emotionale Entwicklung als Rückzug hinter eine schützende Mauer der Gefühllosigkeit. Tauer, Wut, Schuld, Hass, Angst – Pink erzählt seine Geschichte musikalisch so vielfältig, wie es das emotionale Auf und Ab erfordert. Doch auch die Isolation kann Pink nicht vor den über ihn hereinbrechenden Depressionen bewahren und so sucht er am Ende nach einem Ausweg aus seiner Lage. Die ganze Geschichte mit musikalischen Eindrücken gibt es hier.

Epilog: Nach “The Wall”

Der Erfolg aber auch der Aufwand, der für “The Wall” betrieben wurden, waren gewaltig. Um der Theatralik des Werks gerecht zu werden, bemühte sich die Band auf ihrer mehrjährigen Tour zum Album, das jeweils Besungene möglichst bildlich darzustellen. So wurden tatsächlich riesige (Papp-)Steine im Laufe des Konzerts auf der Bühne zu einer Mauer aufgebaut, hinter der Pink Floyd komplett verschwanden. Zusätzliche Musiker*innen, Filmprojektionen und gigantische Marionetten kamen zum Einsatz. Dabei gärte es schon vor Tourbeginn 1980 gewaltig: Gründungsmitglied und Keyboarder Richard “Rick” Wright wurde aus der Band geworfen und hat dann alle Konzerte praktisch als angestellter Gastmusiker absolviert. Die kreative Dominanz von Bassist Roger Waters, von dem das Konzept und der Großteil des Materials von “The Wall” stammten, war wohl einer der vielen Gründe dafür, die auch zu seinem Ausstieg 1985 führten. “The Wall” ist damit das letzte Pink Floyd-Album, das in der “klassischen” Besetzung veröffentlicht wurde, in der die Gruppe seit 1968 auftrat.

Gerald Scarfe schuf für das Album diverse Illustrationen und für den Film sämtliche Animationen. Besonders bekannt geworden sind die marschierenden Hämmer…

Den Erfolg von “The Wall” beeinflusste all das allerdings in der Folge wenig. 1982 wurde die Story als Rock Opera verfilmt. Gerald Scarfe, der schon für die Covergestaltung des Albums verantwortlich zeichnete (Wortwitz!), schuf für den Spielfilm sämtliche Animationssequenzen. Darunter auch die ikonisch gewordenen marschierenden rot-schwarzen Zimmermannshämmer. Es ist, natürlich neben der Musik, vor allem das gelungene Neben- und Ineinander von Realfilm- und Animationssquenzen, die den Film so überaus sehenswert machen. Ich kann das Album heute beispielsweise nicht mehr hören, ohne gleichzeitig die Bilder des Films vor mir zu sehen. Zwar ist kein einziges Bandmitglied im Film zu sehen, dafür aber Bob Geldof (Live Aid, Boomtown Rats , …) in der Hauptrolle, der selbst einige Gesangsparts zur Originalmusik nachgeliefert hat. Während sich über Geldofs Performance streiten lässt, war es als Konfliktvermeidungsstrategie zwischen den Bandmitgliedern ein kluger Schachzug.

Umsonst und im Freien: Wo noch im Vorjahr die Mauer stand, führt im Juli 1990 Roger Waters “The Wall” vor 300.000 Leuten im ehemaligen Todesstreifen zwischen BRD und DDR auf.

Die Bühnengeschichte des Werks ging auch nach dem Bandsplit weiter. Im Juli 1990 wurde mit zahlreichen Gaststars “The Wall” auf dem ehemaligen Todesstreifen in Berlin zwischen Potsdamer und Pariser Platz von Roger Waters aufgeführt. Vor 300.000 Zuschauer*innen und in zwei Staaten gleichzeitig (ja, die DDR gab es Juli ’90 noch). Bis heute tourt Waters mit seinem opus magnum, manchmal sogar an der Gitarre vom früheren Bandkollegen David Gilmour unterstützt. Die Show selbst wird ebenfalls kontinuierlich weiterentwickelt. Sowohl technisch als auch inhaltlich. Letzteres hätte Waters an mancher Stelle jedoch besser gelassen, wie beispielsweise den Gebrauch antisemitscher Symbolik.

Das alles ist aber nicht zwingend vorausgesetztes Wissen, um das Album genießen und sich in seiner Atmosphäre verlieren zu können. Und um “The Wall” als phantasievolles, unglaublich dichtes, abwechslungsreiches und dramatisches Werk zu begreifen und zu würdigen, muss man selbst auch keine Depressionen haben. Aber es hilft.


Bildnachweis: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0722-402 / CC-BY-SA 3.0

Tobias

IT, Sprache(n), Politik, Musik, Literatur. Tut Banane auf Pizza. Ja, wirklich!

Ein Gedanke zu „Was war? 30. November – Pink Floyd veröffentlichen ihr Konzeptalbum “The Wall”

  • Susann

    Super – endlich mal jemand, der sich öffentlich traut, “Another Brick in the Wall Prt. II” genauso scheußlich zu finden wie ich! Danke für deinen schönen Beitrag 🙂

    Ich hatte einen anderen Zugang zu Pink Floyd und habe zu dieser Musik, sehr zum Unverständnis meines Vater, Mathe-Hausaufgaben gemacht. “Animals” und dann “The Wall” hatte ich mit Kassettenrekorder aufgenommen (oh. Das klingt nach “alt”, oder?), und aus irgendeinem Grund hatte ich nur die erste Hälfte. Die zweite und damit den Ausgang der Geschichte habe ich erst nach der Wende gehört – und gekauft. Auf CD 😉

Kommentare sind geschlossen.