Gesellschaft

Aufruf 2019 – Ein Zwischenruf

„Für den Aufbruch“ zogen am 14. Januar 2019 über 3000 Menschen durch die Leipziger Innenstadt. Sie alle schlossen sich der Demonstration „Aufruf 2019“ an.

Die älteren unter ihnen fühlten sich an die Montagsdemonstrationen von 1989 erinnert, die jüngeren an den vierten Jahrestags der ersten Großdemo gegen LEGIDA. Beides war beabsichtigt, denn 30 Jahre nach der dem Wendeherbst 1989 sehen die Veranstaltenden nicht nur einen Punkt, um zu erinnern. „Wir müssen dafür sorgen, dass 2019 ein Jahr des Aufbruchs Demokratie wird“, schreibt Hauptorganisator Christian Wolff auf seinem Blog. In diesem Jahr wählen die Leipziger*innen das Europaparlament, den Stadtrat und den sächsischen Landtag. Das an sich wäre keine Aufbruchssituation. Aber da sind eben auch die letzten Jahre, in denen die AfD und mit ihr Rassismus und Diskriminierung deutlichen Aufwind bekommen haben.

Die "Aufruf 2019"-Endkundgebung auf dem Leipziger Marktplatz
Bei der Endkundgebung war der Leipziger Marktplatz voll – und auch ein Transparent von „Aufstehen“ dabei

Das Motto der Demonstration „Für ein weltoffenes Leipzig – Für ein demokratisches Sachsen – Für ein friedliches Deutschland – Für ein geeintes Europa“ trug die Problematik durch die Stadt, dass es 2019 gleich mehrere Baustellen gibt, an denen Menschenrechte und gesellschaftliche und politische Teilhabe verteidigt werden müssen. Doch noch vielmehr wurde Hoffnung durch die Stadt getragen, dass sich alles zum Guten wendet. Der Ruf aus dem Sommer 2018 wurde wieder laut: „Wir sind mehr!“

Eine SPD-Fahne neben dem "Aufruf 2019"-Transparent
Mit Fahnen und Transparenten startete die Demonstration auf dem Nikolaikirchhof

Weniger ist mehr?

Mehr sind 3000 von 560.000 Einwohner*innen der Stadt Leipzig sicher nicht. Doch das Zeichen und die Solidaritätsbekundung  waren deutlich. Am neuen Rathaus sprach Oberbürgermeister Burkhard Jung. Er erinnerte explizit an den großen und breiten Protest gegen das neurechte LEGIDA-Bündnis. Bereits am Anfang sener Reder erwähnte er den Angriff auf Connewitz durch 250 rechte Hooligans am 11. Januar 2016. Zuletzt rief er die Leipziger*innen dazu auf, rassistischer und antisemitischer Hetze immer wieder deutlich zu widersprechen.

Oberbürgermeister Burkhard Jung ruft die Leipziger*innen auf, Rassismus und Antisemitismus zu widersprechen

Weil die Demonstration in Leipzig stattfand, durfte Sebastian Krumbiegel als stadtbekannte Figur nicht fehlen. Glücklicherweise verblassten auf dem Marktplatz neben Oberbürgermeister und Prominenz nicht die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die auf der Demonstration zu Wort kamen. Sie alle machten sich für eine offene, vielfältige und demokratische Gesellschaft stark. Doch auch wenn schließlich alle 3000 Teilnehmenden gestärkt nach Hause gingen – was kann ein „Aufruf 2019“ in Leipzig und Sachsen bewirken?

Die Tschop! Tschop!-Redaktion diskutiert

Maren:

Es ist klar, dass der „Aufruf 2019“ keine neuen, keine radikalen Forderungen stellt. Die größte Vision scheint die zu sein, ins Leben der bürgerlichen Mitte vor dem Erstarken der AfD zurückzukehren. Allerdings: In Sachsen ist das mittlerweile leider schon ein ziemlich hoher Anspruch. Ich glaube, die Demonstration – und mögliche auf sie folgende Veranstaltungen – haben das Potenzial, Menschen zu aktivieren, sie zum demonstrieren und schließlich zum Wählen zu bringen. Das ist gut. Die Vielfalt, die der Aufruf fordert, hielt er selber leider nicht ein. Abgesehen von verschiedenen Altersgruppen wirkten die Teilnehmenden nicht sonderlich unterschiedlich, sondern mehrheitlich weiß und mittelschichtig. Ich hoffe schon, dass es zukünftige Aktionen geben wird, bei denen die geforderte Offenheit und Teilhabe auch in der eigenen Veranstaltung Umsetzung finden. Wobei hoffentlich aufgepasst wird, dass die hohe Anschlussfähigkeit nicht auch Querfrontprojekte mit einlädt.

Fabien:

Inhaltlich liefert der Aufruf 2019 nun wirklich nichts Neues. Dennoch war es eine bemerkenswerte Veranstaltung: Seit Langem hat sich wieder eine neue Bevölkerungsgruppe in die Debatte eingemischt. Viele gut-situierte, meist kirchlich geprägte Bürger*innen nahmen an der Demo teil. Aus ihrem gesellschaftlichen Lager stammte schließlich auch die Initiative. Anscheinend hat man dort verstanden, dass auch sie aktiv werden müssen. Es handelte sich bei den Teilnehmer*innen vor Allem um all die, welche im Falle einer weiteren Verschärfung der rechten Stimmungsmache am wenigsten zu befürchten haben. Und damit zeigte die Veranstaltung auf jeden Fall deutlich, dass beispielweise einer ungehinderten Machtübernahme durch AfD und Co. doch noch einiger Widerstand im Weg steht.

Tobias:

Wie schon bei den erfreulich breiten Gegenproteste anlässlich der ersten LEGIDA-Kundgebung 2015, freut es mich, wenn sich Leute zum Demonstrieren auf die Straße trauen, die das sonst eher nicht tun würden. Das zeigt wohl, dass auch im so genannten „Bürgerlichen Lager“ die Sorge um die Gesellschaft durch Bedrohungen von rechts stark genug ausgeprägt ist, um selbst aktiv zu werden. Gerade in diesem Landtagswahljahr würde ich mir wünschen, dass es erstens nicht dabei bleibt („Ich war jetzt einmal demonstrieren, das muss doch reichen. Sollen sich doch andere kümmern, ich habe ja schließlich auch ein Leben…“) und zweitens alle Engagierten für eine pluralistische Gesellschaft untereinander mehr Anerkennung und Solidarität zeigen – egal, ob ich jetzt selbst an einem Friedensgebet oder einer Sitzblockade teilnehmen würde oder nicht.

Quellen & Links:
https://aufruf2019.de/
https://www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2019/01/Die-Mehrheit-meldet-sich-zu-Wort-3-000-Menschen-folgen-dem-ersten-Leipziger-Aufruf2019-Videos-253849

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