Deutschland sucht den Genderstar
Das Gendersternchen wurde zum Anglizismus des Jahres 2018 gewählt. Und das ist gut so und ein wichtiger Schritt. Weshalb, versucht unser Redaktionsmitglied Tobias zu erklären.
Voll nice, das Gendersternchen.
Das Jahr 2018 ist vergangen. Doch noch ehe der Sekt für den Jahreswechsel überhaupt gekauft war, haben schon – wie jedes Jahr – die üblichen Rückschauen begonnen. Besonders spannend finde ich immer, wie auf sprachlicher Ebene versucht wird, die Essenz des Geschehens der letzten zwölf Monaten zu fassen. Das passiert durch die Wahl von (Un-/Jugend-)Wörtern des Jahres. So gesehen lässt sich 2018 als Anti-Abschiebe-Industrie, Ehrenmann/Ehrenfrau und Heißzeit fassen.
Die Aktion „Aktion Anglizismus des Jahres“ kürt jährlich auch den – Überraschung – Anglizismus des Jahres. Also dasjenige Wort, das aus dem Englischen stammend seinen Weg in den deutschen Sprachgebrauch gefunden hat. Für 2018 ist das Gendersternchen. In der Begründung der Jury zur Wahl des Wortes verweist diese auf die Definition des DWDS. Dort heißt es unter dem Schlagwort Gendersternchen:
„typografisches Zeichen (*), das bei Personenbezeichnungen zwischen der männlichen Form bzw. dem Wortstamm und der zusätzlich angefügten weiblichen Endung gesetzt wird, um neben Männern und Frauen auch Menschen mit anderer geschlechtlicher Identität miteinzubeziehen und sichtbar zu machen“.
Quelle: https://www.dwds.de/wb/Gendersternchen
Hä? Was soll das denn? Muss das so oder ist da Dreck auf dem Bildschirm?
Sicher habt ihr bei diversen Texten on- und offline schon Schreibweisen wie Freund*innen gesehen. Auch wir in der Tschop! Tschop!-Redaktion setzen das Gendersternchen ganz gern ein. Aber wieso ausgerechnet der Stern? Ist es eine reine Geschmacksfrage?
Jain. Es gibt beim so genannten Gendern zwei wichtige Motivationen. Erstens gemeinte Geschlechter explizit zu benennen oder zumindest nicht auszuschließen und zweitens sprachliche Effizienz zu schaffen. Warum heißt es bei der Tagesschau beispielsweise „Guten Abend meine Damen und Herren“? Hier wird keiner der beiden Punkte wirklich erfüllt. Denn es wird ausschließlich Damen (Menschen, die sich weiblich identifizieren) und Herren (Menschen, die sich männlich identifizieren) ein Guter Abend gewünscht. Andere Geschlechtsidentitäten kommen nicht vor (in diesem Fall wird auch von Geschlechtsbinarität im Sinne von entweder oder gesprochen). Wirklich effizient ist das auch nicht. Immerhin ist die Begrüßung schon stolze elf Silben lang.
Mitgemacht statt mitgemeint!
Besonders im Schriftverkehr ist es dann nahe liegend, die ganze Sache abzukürzen. Meistens durch Zusammenschreiben. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten. Relativ alt sind Darstellungen mit Binnen-I (FreundInnen) oder Schrägstrich (Freund/-innen). Bei diesen wird aber nur das Effizienzkriterium erfüllt. Diese Darstellung ist ja nur eine Kurzschreibweise für Freunde (männlich) und/oder Freundinnen (weiblich). Sie bleibt also binär. Doch es gibt auch Alternativen dazu, die nicht binär sind.
Ähnlich wie die so genannte gender gap (Freund_innen oder Freund innen) stolpert eins beim Lesen des Gendersternchens im Wort Freund*innen. Das ist auch durchaus gewollt. Denn hier sind die Lesenden gefragt: Zwischen der jeweils abgedruckten männlichen und weiblichen Wortform befindet sich das sprachliche Experimentierfeld. Hier können und sollen alle erdenklichen Geschlechtsidenitäten Platz finden. Wie bei der eigenen Identifikation auch ist hier auf sprachlich-schriftlicher Ebene mit _ oder * ein Ausgestaltungsraum geschaffen, den es zu befüllen gilt. Beim Unterstrich und der so bildlich werdenden Lücke in Freund_in ist das relativ klar. Aber wieso das Sternchen?
SELECT * FROM gender
Hierzu ein bisschen Zeichenkunde. Der Stern * heißt eigentlich Asterisk. Und ja, der beliebte Comic-Gallier hat seinen Namen als Wortspiel auf eben dieses Zeichen erhalten. Der Asterisk findet in ganz unterschiedlichen Kontexten eine Funktion. Besonders beliebt ist er beispielsweise als Hinweis auf eine überlicherweise am Seitenende platzierte Notiz*.
In der Informatik taucht der Asterisk häufig als logischer Platzhalter auf. Bei Datenbanken oder Zeichenketten ist der Asterisk ein Platzhalter für einen beliebigen Inhalt. Diesen Platzhalter nennt eins dann ganz cool wildcard. Gemeint ist damit schlicht alles mögliche oder auch gar nichts.. Damit ist auch schon die Parallele zum Gendern erklärt.
Bei Freund*innen werden also alle Geschlechtsidentitäten gemeint und dargestellt(!), die entweder als Freunde oder Freundinnen bereits eine sprachlich manifestierte Form haben oder noch keine haben, aber denkbar sind.
Problematik
Die Offenheit zur Ausgestaltung ist bei der Variante mit dem Gendersternchen gleichzeitig ihr größter Vor- und Nachteil. Vergleichsweise eindeutig ist die damit verfolgte Absicht bei der Nutzung innerhalb des Wortes, das mehrere Personen bezeichnen soll, wie es bei Freund*innen der Fall ist. Manchmal sind aber auch Einzelformen wie Freund* zu finden. Häufig wird das so begründet, dass damit ein (männlicher) Freund gemeint ist, während das Gendersternchen darauf hinweisen soll, dass die damit bezeichnete Geschlechtsidentität offen zur Ausgestaltung ist und somit auch bspw. Trans-Männer miteinbezieht.
Hier entsteht aber ein sprachliches Problem, das bereits in anderen Fällen aufgetaucht ist: Eigentlich geht es darum, bestehende Geschlechtsidentitäten zu öffnen. Aber es wird immer noch in der Geschlechtsbinarität verharrt. Es scheint, als würde dann doch wieder das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht als unumstößliches, endgültiges Urteil anerkannt. Der guten Absicht zum Trotz wird dadurch ein Ausschluss vollzogen. Bereits aufgetreten ist das Problem bei dem Wort Homo-Ehe.
Es ging in der Debatte darum, das klassische Ehekonzept (Ehe = kirchlich und/oder staatlich begründete Verbindung von einer Frau und einem Mann) zu öffnen und auf Homosexuelle zu erweitern. Diese sollten auch Ehen eingehen können. Als darüber verhandelt wurde, tauchte aber immer wieder das Schlagwort Homo-Ehe auf. Dadurch, dass die Bezeichnung Ehe um den Zusatz Homo erweitert wurde, war es eben doch ein anderes Wort. Und damit wurde das auf sprachlicher Ebene verfehlt, was auf inhaltlicher Ebene hätte erreicht werden sollen: eine Gleichstellung. So ist es auch bei Freund*: ist denn ein Trans-Mann kein Mann? Wozu die Zusatzkennzeichnung durch den Asterisk, wenn eine Gleichstellung beabsichtigt ist?
Der Weg ist das Ziel
Ihr seht schon, es bleibt kompliziert. Aber das ist auch gar nicht weiter tragisch. Denn: Sprache lebt. Und sie lebt durch uns alle. Dadurch, dass wir sie benutzen, sie bereichern, sie verändern. Auch, wenn einige das immer wieder gerne behaupten, wird ein bestimmter Sprachgebrauch nicht bis ins letzte Detail als Gesetz verordnet. Wir alle sind frei, einen kreativen Umgang mit Sprache zu üben. Wir können uns uns selbst darin auszuprobieren, neue Formen zu finden, benutzen, übernehmen und verwerfen.
Die Anerkennung des Gendersternchens durch die Aktion Anglizismus des Jahres ist alleine deshalb schon wertvoll, weil sie den Aspekt der sprachlichen Geschlechtergerechtigkeit anerkennt und unterstreicht. Und sie tut das, ohne eine endgültige, alles umfassende Benutzungspraxis als abschließende Lösung zu präsentieren. Es ist schon durch das Bewusstmachen unheimlich viel gewonnen. Es ist wichtiger, dass wir uns Gedanken darüber machen und denen zuhören, die von sprachlicher Exklusion betroffen sind als jetzt quasi-verbindliche Konventionen ausloten zu wollen.
Der Weg ist das Ziel. Und der bleibt sicher spannend.
* = wie diese hier. Schön, dass Du da bist 🙂
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