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Die schwarzwurzel – Teil 2: Der Alltag

Wie funktioniert ein kollektiver Bioladen?

Die schwarzwurzel ist ein Bioladen im Leipziger Westen. Aber nicht nur das, sie ist auch ein Kollektiv, das acht Menschen einen Arbeitsplatz bietet und dabei ganz anders funktioniert als ein „normaler“ Laden. Tschop! Tschop! hat nachgefragt: Wie läuft es in so einem Ladenkollektiv ab? Wie baut man es auf? Können acht Menschen gemeinsam Entscheidungen treffen, die einen Laden am Laufen halten? Und: Wie groß ist die Gefahr, sich selbst auszubeuten, wenn man so selbstbestimmt arbeitet? Sarah und Melanie haben geantwortet, und zwar ganz schön ausführlich. Darum wird diesem Thema ein Vierteiler gewidmet. Teil 2 widmet sich dem alltäglichen Arbeiten im Kollektivbetrieb. Wie alles los ging erfahrt ihr in Teil 1.
Das Gespräch wurde im Frühjahr 2019 geführt.

Erzählt mal: Wie ist euer Alltag?

Sarah: Ich arbeite. Melanie: Ich glaube, Alltag ist wie in einem regulären Bioladen. Für mich ist es interessant, dass ich Verantwortung habe, die hatte ich früher nie. 

Also am Morgen… 

Sarah: …Tür geht auf. Computer an. Wir bauen alles auf, was in den Tresen gehört, also die ganzen Käsemesser und Brotmesser und so weiter. Wenn Brot schon da ist, wird Brot eingeräumt. Es gibt in der Regel zwei Personen. Eine Person kümmert sich darum, den Tresen so fit zu machen, dass jemand kommen und etwas kaufen kann. Das heißt, das Brot muss da sein, der Käse muss so sein, dass man ihn verkaufen kann. Geld muss da sein. Kasse muss an sein. Die andere Person kümmert sich darum, dass das Gemüse aufgebaut ist, das ist ja in meisten Teilen nachts in der Kühlung und wird dann morgens wieder aufgebaut und eben geguckt, was ist gut, was ist schlecht, was muss reduziert werden? Die neue Ware wird dann dazu geräumt und einsortiert, sodass die Person, die in der zweiten Schicht kommt, auch weiß, wo was steht. Man muss alles so machen, dass es transparent ist. So, dass die Person, die nach einem kommt, nicht erst aufräumen muss, sondern weiß: „Ah ja, das ist das so und so.“ Und deswegen sind diese Routinen und Strukturen so wichtig. Und dann geht es in den Abverkauf. An drei Tagen wird früh auch bestellt. Da ist eine dritte Person da, die nachräumt vom Lager in die Regale, mit dem Palmgerät, so einem Piepsiding, die durch die ganzen Regale geht und jedes Produkt anguckt, und guckt, muss man es nachbestellen oder nicht. Es gibt vier große Lieferanten, die „gepiepst“ werden. Und dann geht die Person durch und die anderen machen den Laden. Die eine macht Gemüse, oder Tresen, oder Käse und eine piepst halt durch. Bis 14 Uhr muss das mit dem Bestellen passiert sein, dann kommt die nächste Schicht und übernimmt. Manchmal kommen nachmittags auch Lieferungen, die werden dann abgepackt. Ansonsten ist die Person mit Verkaufen beschäftigt. 

Entscheidet Ihr gemeinsam, wie viel bestellt wird? 

Tiefkühl und Getränke in der schwarzwurzel

Sarah: Nee, das wird auch alles effizienter organisiert. Also, je mehr Erfahrung wir haben, desto effizienter können wir Entscheidungen auch allein treffen, ohne dass der Rest sagt: Was? Warum hast Du das getan? Das passiert trotzdem, aber das ist nicht so schlimm. Keine Ahnung, passiert halt. Die großen Bestellungen macht eine Person eigenverantwortlich, kann aber Rücksprache halten, wenn kritische Punkte auftauchen. Aber eigentlich bestellt jede*r vor sich hin. Da kann man ja Feedback geben am nächsten Tag, wenn man sieht: Ah nee, das war ein bisschen viel Milch. Das sind alles Lerneffekte. Und es gibt viele kleine Bestellbereiche, die Einzelpersonen haben, die dann entscheiden, wann sie das bestellen und selbst sehen müssen, wann was leer ist. Also sehr viel Eigenverantwortung. Die Toleranz, die man mitbringen muss, ist, auch nicht übel zu nehmen, wenn mal was schief geht.

Was ist bei euch der Unterschied zu normaler Lohnarbeit?

Melanie: Bei normaler Lohnarbeit bist du immer unter Druck, dass jemand dich sieht und dich verurteilt. Wenn du eine*n Chef*in hast, musst du dich immer so verhalten, dass er*sie mit dir zufrieden ist.

Und Montag früh? Kommt ihr da freudestrahlend her?

Sarah: Naja, das ist sehr individuell. Manchen fällt es sehr leicht, morgens früh aufzustehen und sich „Yay! Super nice! Sechseinhalb Stunden – Why not“ zu sagen. Andere grumpeln rum. Aber man weiß ja, man kann das der anderen Person nicht anlasten. Also niemand, weder die anderen Mitarbeitenden, noch die einkaufenden Personen können ja was dafür, dass du grumpy bist. Du guckst halt, ok, wir wollen eine gute Schicht haben und guckst auch, wie man sich zurückhalten kann. Man spricht dann morgens auch ab, wer ist am Tresen und wer räumt das Gemüse raus? Man kann sich da auch die weniger kommunikativen Sachen aussuchen und hat dann seine Ruhe und kann erstmal in Ruhe aufwachen.

Wenn ihr aber so eng miteinander arbeitet und auch lebt, müsst ihr euch da nicht auch aneinander angleichen und auf die anderen Rücksicht nehmen?

Melanie: Voll. Aber wir sind da in einem Vertrauenszirkel und das ist deutlich entspannter. Es ist ja nicht nur eine Person, sondern alle zusammen und wir sind da alle in der gleichen Dynamik.

Aber ist da mit der persönlichen Nähe nicht auch die Gefahr, dass man sich selbst viel stärker ausbeutet, weil man nicht einfach sagen kann „Ich geh halt nach Hause“? 

Sarah: Ich glaube, das ist in allen Arbeitsfeldern so, in denen man sich sehr wohl fühlt, dass man da ungern krank ist. Man weiß, dann muss die andere Person mehr arbeiten und man möchte nicht, dass die Person mehr arbeiten muss, weil man weiß ja schon, dass die Person so oder so schon viel belastet ist. Da muss man auf sich selbst achten und selbst eigenverantwortlich gucken: Wie geht es mir? Aber man muss auch den anderen spiegeln: Ich habe das Gefühlt, dass du zu viel machst. Und dann muss man auch zulassen, dass einem das gespiegelt wird.Aber da ist man nie vor gefeit, vor dem Ausbeutungsmoment. (Lacht) Aber wir können uns das selber aussuchen. Wir können niemandem sagen: „Ah, da oben, schon wieder muss ich fünf Stunden mehr arbeiten“, sondern „Ah, Ok, ich habe ‚Ja‘ gesagt, scheiße!“ (Lacht)

Die Pfandecke der schwarzwurzel
Bittere Wahrheiten gibt es auch im kollektiven Bioladen

Könntet ihr euch den Arbeitsalltag in einem Kollektivbetrieb wie der schwarzwurzel für euch vorstellen? So ganz ohne Chef*innen und Hierarchien? Selbst im entspanntesten Arbeitsumfeld kann es Konflikte geben. Wie sie mit denen umgehen, berichten Sarah und Melanie in Teil 3.

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