Solidarisch durch die Krise
Seit dem Frühjahr 2020 finden in Leipzig Demonstrationen statt, auf denen die Gefahr durch das Coronavirus verharmlost und die Schutzmaßnahmen abgelehnt werden. Es dauerte nicht lange, bis sich Protest dagegen organisierte. Was bewegt Aktivist*innen, monatelang immer wieder gegen Maskenverweiger*innen zu protestieren?
„Vorwärts“, ruft der Beamte in der Mitte der Polizeikette. Die kleine antifaschistische Demonstration setzt sich in Bewegung. Fünfzig, vielleicht hundert Meter kann sie laufen, um dann durch ein „Halt“ des Polizisten gestoppt zu werden. Das wiederholt sich an diesem Samstagnachmittag Ende August etliche Male, bis die Route durch die Leipziger Innenstadt geschafft ist. Eine ermüdende Prozession, doch die etwa fünfzig Aktivist*innen lassen sich nicht entmutigen: „Alle zusammen gegen den Faschismus“ und „Nationalismus raus aus den Köpfen“ schallt durch die Straßen. Die Parolen gelten der „Bewegung Leipzig“, deren Demonstration in einigem Abstand vor dem Protestzug läuft. Die Demonstration stockt immer wieder, wodurch auch die Protestierenden ihren Aufzug immer wieder unterbrechen müssen.
Demonstrationen wie diese sind in Leipzig nicht neu. Seit Ende April 2020 demonstriert die selbsternannte “Bewegung Leipzig” gegen die verschiedenen Schutzmaßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie. Neben der abstrakten Forderung nach Freiheit sind auf den Veranstaltungen immer wieder antisemitische Positionen und Verschwörungserzählungen zu finden. Beispielsweise traten dort Impfgegner*innen auf und es kursiert der Mythos, Bill Gates sei Teil einer Verschwörung, die hinter dem Virus steckt. Im Mai wurde ein Schild mit der Aufschrift “Impfen macht frei”, die mit der Anlehnung an die Toraufschrift von Auschwitz den Holocaust verharmlost, über die Kundgebung getragen. Es dauerte nicht lange, bis sich Protest gegen all das organisierte.
Friedenstaube und Reichsflagge
Am 22. August beginnen die Bewegung Leipzig und auch der Gegenprotest gegen 15:30 Uhr auf dem Leipziger Markt. Gut zwei Stunden bevor die Demonstrationen durch die Stadt ziehen, finden auf beiden Seiten des Platzes Kundgebungen statt. Auf der Nordseite versammelt sich die Bewegung Leipzig. Einige hundert Menschen nehmen im Laufe des Nachmittags teil. Sie tragen bunte Kleidung und bunte Fahnen und vor allem: Keine Mund-Nasen-Masken. Auf den ersten Blick könnte all das ein Fest sein. Auf den zweiten Blick bemerkt man den Stand des selbsternannten „Königreichs Deutschland“, ein Zusammenschluss von Reichsbürger*innen. Man sieht, dass die Frau mit der Friedensfahne und dem Dauerlächeln sich mit einem Mann in Pro-Trump-T-Shirt unterhält. Der Aufforderung, Abstand zueinander zu halten, wird erst mit Gelächter, später mit Buhrufen begegnet. Als gegen 16:30 Uhr ein Mann die schwarz-weiß-rote Flagge des Deutschen Reichs entrollt und sie hinter all den hochgehaltenen Friedenstauben und bunten Transparenten schwenkt, ist auch aus der Ferne sichtbar, dass Rechte hier mitmachen dürfen. Die Flagge ist zwar nicht verboten, aber ein klares Erkennungszeichen für Neonazis. Aus der Menge gibt es zwar vereinzelt Widerspruch, ausgeschlossen werden der Mann und seine Flagge jedoch nicht.
Ganz klar gegen Nazis
Beim Gegenprotest wird es laut, als die Reichsflagge auf dem Marktplatz geschwenkt wird. Bis zu achtzig Aktivist*innen folgen dem Aufruf „Solidarisch durch die Krise! Bewegung Leipzig die Suppe versalzen!“ und stehen hinter Transparenten mit Aufschriften wie „Impfpflicht für Aluhüte“ und „Antisemiten entgegentreten“. Anders als auf der Nordseite des Marktes tragen alle eine Maske, die meisten versuchen, 1,5 Meter Abstand zueinander zu halten.
Eine von ihnen ist Maria. Sie ist zum ersten Mal beim Protest, war aber in den letzten Monaten auf einigen anderen Demonstrationen: „Antifaschistische, pro LGBT, Black Lives Matter, eigentlich gehe ich echt oft zu Demos“, erzählt sie. Heute ist sie vor allem dabei, um gegen Neonazis zu protestieren. Aber auch für die Ablehnung der Schutzmaßnahmen hat sie kein Verständnis: „Ich finde, jetzt keinen Abstand halten und keine Maske tragen, ist total falsch.“ Wie sie das Geschehen auf dem Marktplatz wahrnimmt? – „Ehrlich gesagt: Lächerlich. Vor allem die Leute, die an uns vorbei laufen und irgendwas dummes sagen, das finde ich total lächerlich.“
Tatsächlich ist von Anfang an zu beobachten, wie Teilnehmer*innen der Bewegung Leipzig die eigene Kundgebung verlassen und an den Transparenten des Protests diskutieren. Die auffälligen unter ihnen werden von der Polizei aufgehalten, aber immer wieder schaffen es einzelne – natürlich immer ohne Maske und Abstand und teilweise aggressiv – die Demonstrierenden anzusprechen.
Schutzmaßnahmen – für alle und jede*n
Juri (Name geändert), der den Protest schon öfter unterstützt hat, kennt diese Situation. Generell sei das Demonstrationsgeschehen sehr statisch, erzählt er, und „jeder Gegenprotest wird beauflagt von der Stadt und den Behörden bis zum Geht-Nicht-Mehr.“ Warum er trotzdem immer wieder dabei ist? – „Weil‘s wichtig ist. Um zu zeigen, dass diese Schwurbelköpfe falsch liegen.“ Er wünscht sich, dass Schutzmaßnahmen wie die Abstandsregelung auch bei denjenigen durchgesetzt werden, die sie ablehnen.
Ähnlich sieht es der Organisator der Protestveranstaltung. „Gunther Pinguin“ möchte er genannt werden. Er wünscht sich von der Stadt mehr Aufklärung und dass das Einhalten der Schutzmaßnahmen nicht nur hier durchgesetzt, sondern im Alltag allen Menschen ermöglicht wird: „Beispielsweise könnten kostenlos Masken im ÖPNV verteilt werden.“
Radikalisierung statt Infektionsschutz?
Gunther Pinguin ist Mitglied der Linksjugend Leipzig und Sachsen und beobachtet das Geschehen rund um die Bewegung Leipzig seit einigen Monaten. Ihn erschreckt, wer dort neben Reichsbürger*innen und NPD-Fans mitlaufe: „Teilweise sind das Menschen, die aus dem Kulturbereich oder der Techno-Szene kommen, mit denen ich auch selber mal ein Bier getrunken habe.“ An sich halte er die Bewegung Leipzig nicht für gefährlich, doch durch einzelne rechtsradikale Akteur*innen sieht er Ähnlichkeit zur Entstehung der neurechten “PEGIDA”-Demonstrationen in Dresden und ihres Leipziger Ablegers “LEGIDA”. Beide radikalisierten sich innerhalb der “Friedensbewegung” von 2014.
Alles Nazis bei der “Bewegung Leipzig”?
Der Fotojournalist Gregor Wünsch beobachtet die “Bewegung Leipzig” seit mehreren Monaten. Er sieht die Veranstaltungen als Treffpunkt für Menschen aus einem breiten politischen Spektrum: „Von Reichsbürger*innen, die glauben, Deutschland wäre seit Ende des zweiten Weltkriegs nicht mehr souverän, über Personen, die in Reden die NS-Diktatur sowie den Holocaust relativieren, bis zu einem Land- und Gemeinderat der LINKEN. Geeint sind sie vor allem darin, dass sie die Corona-Schutzmaßnahmen in ihrer Form nicht für nötig halten oder gar eine Gefahr durch das Coronavirus für eine Lüge halten.“ Trotz der geringen Teilnehmendenzahlen der Veranstaltungen hält er es für möglich, dass Menschen dort durch antisemitische, rassistische und verschwörungstheoretische Inhalte radikalisiert werden.
Also: Nicht alles Nazis, aber rechtsradikale Ideologien sind vor Ort.
Als die Bewegung Leipzig schließlich in einer Abschlussdemonstration durch die Leipziger Innenstadt zieht, ist auch der Protest schnell startklar. Die Aktivist*innen laufen mit Transparenten und lauten Parolen hinter der Demonstration her. Gunther Pinguin schiebt ein Lastenfahrrad mit einer Lautsprecherbox. Er erklärt Passant*innen, die den Aufzug verwundert beobachten, immer wieder die Gründe für den Protest. Als beide Demonstrationen auf dem Augustusplatz ankommen, wirken Gunther Pinguin und seine Mitstreiter*innen zufrieden, aber auch sichtlich erschöpft. Ein Grund für ihren Protest ist deutlich zu sehen: Auf der Endkundgebung der Bewegung Leipzig wird das Lied „Heal the World“ von Michael Jackson gespielt, die Stimmung scheint gut, die Reichsflagge weht im Sonnenschein.