Gesellschaft

Ein Wessi entdeckt Gundermann

Aus dem Nichts auf die große Leinwand: Gerhard Gundermann, der „singende Baggerfahrer“ aus der Lausitz. Aber wer ist das überhaupt und wieso bekommt er einen Film? Mit Musik kennt sich Tobias aus, mit der Lausitz eher nicht so. Im Westen aufgewachsen schildert er uns seine Annäherung an das Werk des in der Bundesrepublik lange unbeachteten Musikers.


Im Februar 1998 ist Falco gestorben. Ich, im schulpflichtigen Alter, saß beim Frühstück als das Küchenradio diese Nachricht verkündete. Natürlich wusste ich, wer Falco war. Der Kommissar, Rock Me Amadeus. Das kannten alle. Selbstverständlich. Tagelang war es das Thema schlechthin und seine Songs wurden im Radio rauf und runter gespielt. Kurz darauf erschien dann „Out of the Dark“, was auf mich damals recht gruselig wirkte. Die Nachfolgesingle „Egoist“ war da weniger düster, sogar etwas heiter. Vier Monate später starb Ende Juni 1998 der Musiker Gerhard Gundermann. Ich kann mich nicht daran erinnern, davon etwas mitbekommen zu haben. Weil mir Gundermanns Leben und Wirken nicht bekannt waren, nahm ich auch von seinem Tod keine Notiz.

Zwanzig Jahre später. Da ich relativ häufig und gerne ins Kino gehe, kenne ich mich dank der im Vorprogramm laufenden Trailer immer recht gut aus. So habe ich auch die Vorschau für einen schlicht „Gundermann“ genannten Film gesehen, der mich mit einiger Skepsis zurückgelassen hat. Deutsche Mainstream-Produktionen sind mir stets suspekt. Denn schließlich haben sie außer den immer gleichen Themen (romantische Komödien, wahlweise Nazi- oder DDR-Vergangenheit) nicht viel zu bieten. Hier befürchtete ich einen stark ostalgischen Einschlag à la „Goodbye, Lenin“. Ich habe den Film nicht weiter verfolgt, aber das Bild des „singenden Baggerfahrers“ ist mir im Gedächtnis geblieben.

Der offizielle Trailer zum 2018er Film „Gundermann“

First Contact

Erst, nachdem einige Freund*innen den Film tatsächlich gesehen und für gut befunden hatten, dachte ich einige Wochen später noch einmal über mein womöglich vorschnell gefälltes Urteil nach. Allerdings war es da schon zu spät, denn der Film war in keinem Kino in Reichweite mehr zu sehen. Hier hätte die Geschichte meiner Auseinandersetzung mit Gundermann enden können. Hat sie aber nicht. Kurz vor Jahresende hat im Dezember 2018 eine Tribute-Band ein Konzert mit Gundermann-Stücken in der Stadt gegeben. Ohne auch nur ein Lied zu kennen, kaufte ich mir Karten. Die „Katze im Sack“, praktisch.

Schon als ich am Veranstaltungsort ankam, ahnte ich, dass ich etwas Besonderes erleben würde – denn er war gerammelt voll. Menschen aller Altersklassen drängten sich dicht an dicht gut gelaunt in der Halle und warteten auf den Konzertbeginn. Entsprechend groß der Jubel, als es dann soweit war. Um mich herum sangen Leute textsicher mit – ab dem ersten Lied. Die Musik, die ich zu hören bekam, gefiel mir sofort. Handgemachte, eingängige, facettenreiche Musik, die mit verspielten, originellen Texten aufwartete. Abwechslungsreiche Arrangements, die auch vor der ein oder anderen Anspielung oder Bezugnahme nicht Halt machten. Einer der Höhepunkte war für mich, dass ich mit einem deutschsprachigen Cover von Neil Youngs „Rockin‘ in the free world“ sogar doch noch Bekanntes im Repertoire vorfand. 

„Rockin‘ in the free world“ – sinngemäß – auf Deutsch: Gundermanns Interpretation unter dem Titel „Alle oder keiner“

Der Nachhall

Tagelang gingen mir Text- und Melodiefetzen durch den Kopf und ich habe allen meinen Freund*innen von dieser Erfahrung erzählt. Als nächsten Schritt habe ich mir die gesamte Gundermann Diskographie organisiert und mich quer durch die Aufnahmen gehört. Großartig fand ich daran vor allem, dass die Musik so anders war als alles, womit ich an deutschsprachiger Musik aufgewachsen war. Umso mehr hat es mich geärgert, dass ich nie etwas von Gundermann gehört hatte. Insofern ist meine eigene Geschichte wohl symptomatisch für das Interesse der Wessis an der bisherigen Lebensrealität Ihrer „neuen“ Mitbürger*innen insgesamt.

Gundermanns Musik wirkte auf mich vor allem glaubwürdig, während er sich zwischen Rockmusik und Liedermacherstil bewegt und dabei manchmal in beliebige andere Genres eintaucht. Ganz anders als die im Westen bekannten Künstlerkollegen: Nichts vom aufgesetzten unerträglichen Macho-Image eines Marius Müller-Westernhagen oder der verkrampften Selbstinszenierung als Intellektueller eines Reinhard Mey. Am ehesten noch lässt sie sich vielleicht mit den Solo-Werken Rio Reisers vergleichen – wenngleich ein Megahit popkultureller Prägekraft wie „König von Deutschland“ fehlt.

„Das macht ja nüscht, das macht ja nüscht, das wird ja wieder abjewischt!“

Dass auch Gundermanns Texte genau meine Kragenweite sein würden, wusste ich schon beim Konzert im vergangenen Dezember. Die Tribute-Band „Randgruppencombo“ hatte auch den Song „Hier bin ich geboren“ im Programm. Dessen erste Strophe beginnt mit den Zeilen:

Hier liegt mein Vater unter der Erde,
meine Mutter liegt uff’n Balkon.

Gerhard Gundermann in „Hier bin ich geboren“

Es ist genau dieser Witz, dieses Augenzwinkern im Umgang mit Sprache, den ich so sehr mag. Gesprenkelt ist Gundermanns Lyrik immer wieder mit dialektalen Einschlägen aus der Lausitz. Nur so ist es möglich, dass „abgewischt“ eben doch auf „nichts“ („nüscht“) reimt. Erfreulich ist auch, dass die Themen der Songs nicht immer die übliche leichte, radiokompatible Kost (Liebe und Liebeskummer) sind. Sehr häufig setzt sich Gundermann mit seiner eigenen Vergänglichkeit und dem Tod im Allgemeinen auseinander, wobei er sich manchmal einer recht an das Barock erinnernden Bildsprache bedient:

Immer wieder wächst das Gras,
wild und hoch und grün,
bis die Sensen ohne Hass
ihre Kreise zieh’n.

Gerhard Gundermann – „Gras“

Das heißt aber nicht, dass Gundermanns Musik irgendetwas von Todessehnsucht hätte, ganz im Gegenteil. Sehr oft besingt er das Engagement für eine bessere Welt im Diesseits. Mal mehr, mal weniger direkt. Diese Diesseitigkeit findet auch Ausdruck in Gundermanns unverblümter Schilderung seiner Lebensumstände. Keine Verklärung, kein Klagen. Es könnte alles so wunderbar sein.

Bauchschmerzen mit „Gundi“

Mitte der Neunziger kam heraus, dass Gundermann jahrelang als inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die Stasi gearbeitet und Menschen seines Umfelds denunziert hatte. Dafür zeigte er zwar einerseits öffentlich Reue, andererseits versuchte er aber auch, sich als Opfer seiner Umstände zu inszenieren: „Ich habe mich mit der DDR eingelassen – mit wem sonst?“

Doch zu dieser objektiven Tatsache gesellen sich noch einige Dinge in Gundermanns Werk, die mir die Musik doch madig machen. Da wäre zum einen die doch recht klassische Einteilung der Geschlechter in Männer und Frauen, die jeweils über charakteristische Eigenschaften verfügen. Zum anderen finden sich auch homofeindliche Phrasen, die selbstverständlich geäußert scheinen. Und nicht zuletzt der Rassismus. Auch, wenn sich Gundermann selbst wahrscheinlich nicht als Rassist gesehen hat, verwendete er sprachlich doch eindeutige Rassismen wie „(Vorstadt-)Fidschis“ für vietnamesische Vertragsarbeiter*innen oder das N-Wort (beide im Song „Europa“). Ob der zeitgeschichtliche Kontext da irgendetwas entschuldigt, sei einmal dahingestellt. Wenn ich die Songs aber im Hier und Heute höre, dann habe ich damit so meine Bauchschmerzen. Und das obwohl ich Gundermanns Musik gerne ohne jeden Vorbehalt gut finden würde.


Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1114-007 / Weisflog, Rainer / CC-BY-SA 3.0 (zugeschnitten und freigestellt)

Tobias

IT, Sprache(n), Politik, Musik, Literatur. Tut Banane auf Pizza. Ja, wirklich!

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