#kleinkunstalltagKolumnen

Hupp Hupp Hurra

#kleinkunstalltag 4

– Kolumne von Florian Teller

Nach dem letzten frostigen Auftritt in der sächsischen Provinz reiste ich nun bei schönstem Sonnenschein in die niedersächsische Provinz, genauer, ins Wendland. Denn dort findet seit genau 30 Jahren die Kulturelle Landpartie statt. Und ich durfte dort zum ersten Mal als Kleinkünstler mitwirken.Selbst bezeichnet sich die Kulturelle Landpartie als das größte selbstorganisierte Kulturfestival Norddeutschlands. Anwohner*innen öffnen Höfe, Scheunen und Ställe und präsentieren bildende Kunst, Kunsthandwerk, Theater und Kleinkunst. Mit über 100 Ausstellungspunkten in 70 Dörfern soll sie die größte Kunst- und Handwerksausstellung im ländlichen Raum sein. Bereichert wird diese große Landgalerie durch politische Vorträge und Ausstellungen. Denn die vergangenen Jahrzehnte der Anti-Atomkraft-Bewegung haben diesen Landstrich nachhaltig politisiert. Seit den 80er Jahren protestierten Anwohner*innen, Bäuer*innen und Menschen aus der gesamten Bundesrepublik gegen das Atommüllendlager im wendländischen Gorleben. Bekannt geworden ist vor allem der Widerstand und die Blockaden gegen die Castortransporte, mit denen Atommüll aus der französischen Aufbereitungsanlage in La Hague zum ehemaligen Salzstock nach Gorleben gebracht wurde. 2011 rollte der letzte Castor. Im selben Jahr wurde nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Gorleben ist jedoch weiterhin als Endlager für Atommüll im Gespräch. Eine endgültige Entscheidung steht aus.

Blockieren und hebeln

Meine Wirkungstätte ist das Dorf Meuchefitz, in dem ein Gasthof seit Mitte der 80er Jahre selbstverwaltet und unkommerziell betrieben wird. Freunde und Besucher*innen unterstützen die Gastwirt*innen während des Trubels zur Kulturellen Landpartie. Die Einnahmen werden an diverse Politprojekte gespendet. Am Dorfeingang empfängt mich die interaktive Ausstellung „Trainspotting“. Die vergangenen Proteste gegen die Castor-Transporte können nacherlebt werden. Da ich damals nicht dabei war, habe ich hier die Chance, mich auf die Schiene zu legen oder selbige aus dem Gleisbett zu hebeln. Ergänzt sind die bespielbaren Exponate durch informative Schautafeln zu den einzelnen Formen des Widerstands und eine umfangreiche Chronik zu den Protesten im Wendland.

Des Weiteren ist eine Anti-AfD-Ausstellung passend im ehemaligen Schweinestall von der “Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten” (VVN-BdA) aufgebaut. Eine kostümierte Männertagstruppe vor Ort sieht ziemlich deplatziert aus, schaut sich jedoch interessiert die einzelnen Schautafeln an. Komplettiert wird der kulturelle Part durch eine Ausstellung über den Aufbruch der Frauen in Rojava, ein Veranstaltungszelt, eine Kleinkunstbühne sowie den „Bunker der Poesie“. Letzteres bezeichnet eine Fotoausstellung, ergänzt um Gedichte und Beschreibungen, über Flucht und Vertreibung.

Zwei Männer in militärischen Kostümen stehen vor der Anti-AfD-Ausstellung

Die Kleinkunstbühne steht auf der ehemaligen Schweinewiese. Eine Überdachung spendet Schatten. Ein Luxus, der dem Publikum verwehrt bleibt. Freuen sich in den ersten Tagen noch alle über Sonnenstrahlen, flüchten sich am Ende der Festzeit die Zuschauenden in den spärlichen Schatten einer Hecke. Trotz kulturellem Überangebot lässt sich das Publikum begeistern. Auch die Spendenbereitschaft bleibt hoch. Ein nicht uneheblicher Aspekt, finanzieren wir Künstler*innen uns auf der Kulturellen Landpartie ausschließlich durch Hutgeld, also über die Beiträge, die uns die Gäste nach der Show spenden.

Maschinenpistolen gegen Transparente

Geld wird auch für die aktuelle Anti-Repressionsarbeit gesammelt. Das quer über den Bühnenhintergrund gespannte Transparent mit dem Motto “Hupp Hupp Hurra” dient nicht zur Anfeuerung des Publikums, sondern verweist auf die hiesigen Auseinandersetzungen. Im Februar letzen Jahres rief ein prokurdisches Transparent die Polizei auf den Plan.  Eine Hundertschaft mit Maschinenpistolen war nötig, selbiges zu entfernen. Dem engagierten Staatsschutzbeamten Hupp brachten als Antwort etwa 80 Aktivist*innen zur letzten Kulturellen Landpartie ein Ständchen vor seinem Wohnhaus dar. Hupp reagierte unsportlich und überfiel mit seinen Kollegen die abziehenden Sänger*innen. Es gab mehrere Verletze. Dieses Jahr blieb alles ruhig. Bis auf das Gewusel im Gasthof. Und die Punkrock-Dauerschleife vom Kaffeelaster. Und die schweißtreibenden Auftritte in der Frühsommerhitze. Aber dafür fahre ich ja hin. Schöner Kleinkunstalltag.